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Portugal erwacht!

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Die mit der Ernennung des neuen portugiesischen Premierministers, Marcelo Caetano, entstandene Hoffnung auf eine Lockerung in Portugals seit vierzig Jahren erstarrtem politischem Leben ist bisher nicht enttäuscht worden. Die Anzeichen für die Liberalisierung, die man in Caetanos Antrittsrede aus dem Satz „ich will die Portugiesen nicht uneinig sehen“ herauslas, sind zwar von äußerster Vorsicht gekennzeichnet, aber sie bieten diem Lande mehr, als es in der Anlaufzeit der neuen Regierung und vor allem noch während Lebzeiten Salazars — dessen unsichtbare Gegenwart noch immer eine bremsend» Wirkung ausübt — erwartet hatte.

Pressefreiheit in zwei Etappen

Vor wenigen Tagen empfing Premier Caetano Lissabons und Portos Zeitungsdirektoren in Audienz, um ihnen seine Pläne für die Neugestaltung des Zeitungswesens mitzuteilen. Er sprach sich klar für die Pressefreiheit aus, die in zwei Etappen durchgeführt werden soll: in der ersten werden nur noch Themen der Verwaltung und der Außenpolitik zensiert, in der zweiten wird die vollständige Freiheit gewährt Man nimmt an, daß die erste Stufe demnächst in Angriff genommen wird, da sich ein entsprechender Gesetzentwurf in Vorbereitung befinden soll. Doch bereits jetzt beginnt Portugals Presse das angekündigte grüne Licht zu nutzen: der Kommentar ist freizügiger, die politische Themenwahl reichhaltiger geworden. Anläßlich des 58. Jahrestages der Gründung der portugiesischen Republik, am 5. Oktober, feierten sämtliche Zeitungen des Landes dieses Ereignis in ungewohnt großen Schlagzeilen. Während der Herrschaft Salazars hatten sie sich an diesem Tag auf eine kleine Notiz beschränken müssen, denn Salazar, trotz seiner Toleranz gegenüber den Protagonisten jener Republik, liebte es nicht , sonderlich, an den Beginn eiper .Fpophe erinnert zu.„werden, die in politischem Chaos und schließlich in einer Militärdiktatur endete, die ihn auf den Schild hob.

Politischem Gegner wird vergeben

Als weiteres, sicheres Anzeichen für die Liberalisierung wird die für den 13. Dezember vorgesehene Rückkehr des Lissabonner Anwalts und Führens der demokratischen Opposition, Dr. Mario Soares, angesehen. Caetano gab dem Ersuchen des Präsidenten der Lissabonner Anwaltskammer um Verkürzung der am 22. März über Soares verhängten Verbannungszeit statt. Soares, Anwalt der Familie Delsados, des von portugiesischen Agenten auf spanischem Boden ermordeten Oppositionsführers und Gegenkandidaten Americo Thomaz’ bei den Präsidentschaftswahlen, war dem Regime durch seine Oppositionstätigkeit unliebsam geworden. Nach zweieinhalbmonatiger Haft wurde er — ohne Anklageerhebung und ohne Prozeß — auf die Insel Säo Tome deportiert.

Durch diesen Gnadenakt ist Portugals reichlich verschlafene und verschüchterte Opposition ermuntert worden. In mehreren Städten, vor allem im Industriezentrum Porto, wurden von Studenten und Linksoppositionellen verfaßte Flugzettel verteilt, in denen Freiheit, Amnestie für politische Gefangene und die Rückkehr des von Salazar vor einem Jahrzehnt verbannten Bischofs von Porto gefordert wurde.

Auch am „Tage der Republik“ konnte man ein — wenn auch relatives — Erwachen der Opposition feststellen. Statt der üblichen Handvoll alter Republikaner fanden sich an den Gräbern der Republikgründer 600 Personen, darunter zahlreiche Jugendliche, ein. Zum erstenmal seit vierzig Jahren waren bei dem Festakt mehr Teilnehmer als Polizisten zugegen, und ebenfalls zum erstenmal durften ungestraft die Rufe nach „Amnestie, Freiheit und Wahlen“ erschallen. Die anschließend von Studenten organisierte Manifestation wurde allerdings von der Polizei zerstreut, ohne daß aber gegen sonstigen Brauch Verhaftungen vorgenommen wurden.

Demokratisierung der Gewerkschaftswahlen

Auch auf dem Gebiet der „Korporationen", der Staatsgewerkschaften, steht eine Umwälzung bevor: In der Abendzeitung „Dlario de Lisboa“ ließ das Korporationsministerium einen Brief veröffentlichen, der die Ausarbeitung eines Gesetzes über die Abschaffung der offiziellen Bestätigung der von den Arbeitern gewählten Gewerkschaftsführer ankündigt. Bisher konnten nämlich nur solche Gewerkschaftsführer ihr Amt antreten, die der Regierung genehm waren. Politisch „Unzuverlässige“ wurden ausgeschaltet, selbst, wenn sie das volle Vertrauen der Arbeiter besaßen. Selbstverständlich wurde diese Ankündigung von den Arbeitern mit Jubel begrüßt. Bedeutet sie doch, daß auch Oppositionelle an die Spitze der Gewerkschaften gewählt werden können, daß also die Wahlen einen demokratischen Sinn erhalten und damit die Gewerkschaftsführer echte Arbeitervertreter sein werden. Dies bedeutet zwar noch lange keine vom Staat gelösten, freien Gewerkschaften, aber der Weg zu ihnen wird damit beschritten.

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