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PAUL VANDEN BOEYNANTS / MIT GEÄNDERTEN VORZEICHEN

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Seit dem 3. März 1966 wird Belgien nicht mehr von einer Koalition der Christlich-Sozialen Partei und der Sozialisten regiert, sondern die Christlich- Sozialen bilden mit der liberalen „Partei für Freiheit und Fortschritt“' eine Regierung. Verantwortlich für diesen Kurswechsel in der belgischen Politik ist der neue Premierminister, Paul Van- den Boeynants: Ein Politiker, zu dessen hervorstechendsten Eigenschaften unermüdliche, selbstbewußte Dynamik unc ein besonderer Sinn für kluge Taktik gezählt werden.

Der 1919 als Sohn eines Fleischhauers in Brüssel geborene Paul Vanden Boeynants hatte sich, nach dem Besuch eines Jesuitenkollegs, bereits als Fußballer in der Öffentlichkeit einen Namen gemacht, als er 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Vorzeitig entlassen, schloß er sich der Resistance an und kam so in Kontakt mit der Politik. Aber die politische Karriere schien ihm keineswegs vorgezeichnet. Zunächst übernahm er den väterlichen Großbetrieb und war bereits im Alter von 30 Jahren Präsident der Vereinigung der Brüsseler Fleischhauer. Zur selben Zeit begann sein politischer Aufstieg, er wurde als Mandatar der Christlich-Sozialen Partei ins Parlament gewählt. 1953 wurde Boeynants Stadtrat von Brüssel, 1958 kam er als „Minister für den Mittelstand“ — ein Amt, das seiner sozialen Herkunft ebenso entsprach wie seinen politischen Intentionen — zum erstenmal in die Regierung. Bei den scharfen Auseinandersetzungen der Regierung Eyskens mit den damals oppositionellen Sozialisten trat Boeynants für eine harte Linie ein, vor allem gegenüber den Streikenden. Als die Entwicklung des Jahres 1961 in anderen Bahnen verlief und Lefevre die Sozialisten in die Regierung holte, schied Boeynants aus der Regierung aus und wurde zum Präsidenten der Christlich-Sozialen Partei gewählt. Aber als Lefevres Nachfolger Harmel mit seiner Koalitionsregierung scheiterte, war Boeynants der Mann der Stunde, der aus seiner Reservestellung als Parteipräsident heraus eine Alternative zur Koalition mit der Linken zu bieten vermochte: eben die Koalition mit den Liberalen.

Seine Jugend, sein telegenes Aussehen und seine Energie lassen Boeynants als einen Politiker vom Typ Kennedys erscheinen, wie ihn in Europa etwa

Lecanuet vom MRP verkörpert. Was Boeynants von diesem Typ unterscheidet, ist das Fehlen eines betont intellektuellen Stils. Er ist nicht ein Politiker, der die Jugend mit dem Aufzeigen neuer Ziele begeistern kann. Seine Stärke ist mehr die Vertretung von Interessen, die sachliche Arbeit an konkreten Materien.

Boeynants war nie ein besonderer Freund einer Öffnung nach links. Als Parteipräsident hat er die Koalitionsregierungen seiner Parteifreunde Lefėvre und Harmel nur lau unterstützt, und auch gegenüber dem Versuch des Führers der christlichen Gewerkschaften, Segers, eine neue Koalition mit den Sozialisten einzugehen, war er eher reserviert. Alle diese Umstände lassen auf eine harte Opposition der Sozialisten gegen den neuen Premier schließen. Was für einen Erfolg des Premiers spricht, ist — neben dem Vorteil, daß er als Brüsseler zu beiden Sprachgruppen Belgiens das ungefähr gleiche persönliche Naheverhältnis hat — seine unverbrauchte Entschluß- und Tatkraft.

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