Der Triumph des Pragmatismus

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Die aufkeimende Pegida-Bewegung in Deutschland profitiert von einer Politik ohne Wertmaßstäbe. Auch in Belgien, Frankreich oder Griechenland mobilisieren zunehmend die Rechten. Ein Plädoyer für mehr Freiheit, Toleranz und Humanismus.

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Die aufkeimende Pegida-Bewegung in Deutschland profitiert von einer Politik ohne Wertmaßstäbe. Auch in Belgien, Frankreich oder Griechenland mobilisieren zunehmend die Rechten. Ein Plädoyer für mehr Freiheit, Toleranz und Humanismus.

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Deutschland im Winterschlaf. Wie selig schlummerte das Volk der Dichter und Denker, Fleißigen und Ordentlichen in den letzten Jahren. Kein Wunder: Eine unaufgeregte Mutter der Nation namens Angela Merkel, wiegte es in ihren Armen. Und wo sich doch die Äuglein zu öffnen drohten, griff die ikonische Sandfrau zum Sternenstaub, streute ihn in die Winde und ließ die Erwachten wieder in sich zurücksinken. "Ihr braucht euch um nichts sorgen", so die Devise.

Das erfolgsversprechende Rezept der politischen Gouvernante: Der politische Pragmatismus -durchaus ein europäisches Phänomen. Statt vitaler Beteiligungsdemokratie regieren vermehrt technokratische und bürokratische, bis zur monolithischen Langeweile erstarrte Sachanalytiker. All die Samaras, Montis, Rajoys und Krisenexperten sind Insolvenzverwalter, welche ihrem Volk mit leeren Händen und scheinbar unumkehrbaren Reformpaketen in der Tasche zurufen: "Rien ne va plus. Die Schätze sind aufgebraucht, der Spaß vorbei. Aber bleibt uns gewogen!"

Die Sackgassen-Politik der Notwendigkeitsphrasen repräsentiert jedoch nur eine Seite des politischen Pragmatismus. Die andere lebt von Moden und Umfragen und umgarnt unentwegt die goldene, noch immer auch nebulöse Mitte der Gesellschaft. Indem gerade die deutsche Kanzlerin ihre Partei in den vergangenen Jahren mehr und mehr linker, grüner und sozialdemokratischer machte, nahm sie nicht nur ihren Konkurrenten den Wind aus den Segeln, sondern machte die CDU zum stimmenstärksten Bollwerk. Eine unbekämpfbare Festung, gebaut um ein Volk, das inzwischen froh ist, nicht mehr selbst über die Mauern schauen zu müssen.

Der Zweck heiligt die Mittel

Entgegen der landläufigen Meinung offenbart sich augenscheinlich nicht der starke, wertbewusste Fürst als dauerhaftes Machtzentrum, sondern die Staatsfrau, deren Entscheidungen auf rein aktuellem Kalkül beruhen. Dabei firmiert Niccolò Machiavellis frühutilitaristisches Prinzip "Der Zweck heiligt die Mittel" als Leitsatz zur Regierungsstabilität. Nur jener Regent, der sich nicht durch eigene, verkopfte Meinungen angreifbar macht und mehr aus Sachverstand denn aus Überzeugung handelt, kann seine Position dauerhaft halten. Der daraus resultierende Frieden erweist sich aber als ein fragiler Zustand.

In Griechenland, Belgien und immer stärker auch in Frankreich mobilisieren zunehmend die Rechten und machen sich den Unmut der Benachteiligten zu Nutze. Braunes Gedankengut kleidet sich im Mantel von Bürgerfreundlichkeit und zieht nun in der Pegida-Bewegung eine bizarre Mixtur aus Modernisierungsverlierern, Stammtischrednern und maskierten Rechtspopulisten auf die Straße. Dass es in Deutschland schon seit Jahrzehnten an einer einheitlichen Asylpolitik oder einer mutigen Vorstellung für das Europa der Zukunft zwischen Staatenbund und Bundesstaat mangelt, rächt sich nun in den Aufmärschen all jener, welche die politische Elite über ganze Dekaden hinweg hat im Regen stehen lassen.

Sehnsucht nach einheitlichem Weltbild

Schlagwörter wie Überfremdung und Sozialabbau sprechen vielen, die sich nach einheitlichen Weltbildern zurücksehnen, aus dem Herzen. Die etablierten Parteien haben kaum noch Bindekraft; Parolen und simple Botschaften stehen jedoch bei den Abgehängten hoch im Kurs. Da die Akteure im politischen Berlin zunehmend ihr Profil aufgegeben haben, damit sie ein Stück von der Mitte ergattern, gingen Identifikationspotenziale verloren. Die Folge: Die Ränder werden stärker, profitieren von der Durchschnittlichkeit der einstigen Volksparteien und stellen ein Sammelbecken für Glücklose, Wutbürger und Neofaschisten dar. Somit liegen derzeit Entpolitisierung und Mobilisierung enger denn je beieinander. Während die einen in Merkels Sternenstaub schlafen, hat sich bei anderen das Ventil gelöst, sodass sich all die verdrängte Enttäuschung Raum bahnt.

Durch die Anschläge auf das Satiremagazin Charlie Hebdo gewinnt die Debatte just sogar noch an weiterer Schlagkraft. Pegida, die in den kommenden Wochen nun auch in Österreich aufmarschieren und erneut allerhand Unzufriedene einfangen wird, spielen die islamistischen Terrorakte in die Hände, um die Einwanderungsdebatte noch weiter zu befeuern. Dass die Bewegung ihre letzte Protestaktion in Dresden wegen Morddrohungen absagen musste, ist Feuer in das Öl reaktionärer Kräfte, die nun umso mehr die angeblich islamische Subversion der Demokratie anprangern werden. Dabei täte eine wahre politische Auseinandersetzung mit Konzepten, ja eine Radikalisierung der Positionen etablierter Parteien, wie sie der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Daniel Cohn- Bendit, schon vor Jahren gefordert hat, gut. Dies meint wohlgemerkt keine Fanatisierung, aber eine Fundamentalisierung und in sich gefestigte Wertebasis.

Dies bedarf hingegen einer Kultur, in der echte Demokraten mit Rückgrat und kantige Typen wieder willkommen sind.

Zu lange schon huldigen wir der Political Correctness, ächten seitens der Medien Individualisten mit Ecken und Kanten. Auf zynische Weise verhalfen auch die Kommentatoren dieser Entwicklung zum Siegeszug. Sobald die Akteure für markante Positionen einstehen, sind ihnen die Häme und Spötteleien sicher. Wenn Parteien einmal Haltung beziehen, sich einem Veggie-Day, dem strikten Nein zu jeglichem Waffenexport oder einer Mütterrente verschreiben, werden sie der Lächerlichkeit preisgegeben.

Am schwersten wiegt angesichts dessen ein inflationärer Freiheitsbegriff. Er verwirft jede Ethik als dogmatisches Korsett. Die Freiheit, welche der politische Pragmatismus bar jeder Wertebasis propagiert, meint allen voran eine Freiheit von etwas, eine Freiheit zur Beliebigkeit, austauschbar und stets von den sich ändernden Windrichtungen geprägt.

Hoffnung auf Einsicht

So bleibt am Ende nur das Prinzip Hoffnung auf die Einsicht, dass Pegida und anderen Extremgruppen nur mit ebenso unverkennbaren Positionen zu begegnen ist. Es bedarf der Vorstellung einer anderen Freiheit. Einer Freiheit zu Toleranz, Humanismus und sozialer Verantwortung für alle, die in unserem Land leben. Um jedem Verdacht der Träumerei am Schluss noch zuvorzukommen, sei darauf hingewiesen: Zum neuen Jahr sind alle Wünsche und guten Vorsätze legitim.

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