6707443-1964_06_06.jpg
Digital In Arbeit

Die Aktiven und die Lethargischen

Werbung
Werbung
Werbung

Die reformwilligen jüngeren konservativen Kreise sind der Ansicht, diese Meinung teilt offensichtlich der Premierminister, nur dann eine Aussicht auf einen Wahlsieg zu haben, wenn die Regierungspartei der Öffentlichkeit einen hinlänglichen Beweis liefert, daß sie gewillt ist, die. bestehenden Probleme möglichst rasch zu lösen. Denn nur so wäre es möglich, den Eindruck der letzten Monate vergessen zu machen, der das Bild einer schwerfälligen, entscheidungsunlustigen, ja sogar lethargischen Regierungspartei ge-formt hat.

Die gleiche Meinungsverschiedenheit offenbart sich auch in der Frage des Wahltermines. Während die älteren Minister für einen Wahltermin im Herbst eintreten, wollen viele Abgeordnete und die Gruppe der „Reformer“ den Premierminister von der Notwendigkeit eines Früh-jahrstermines überzeugen. Besonders großes Interesse an einem möglichst frühen Wahltermin zeigt Schatzkanzler Maudling; er befürchtet nämlich, daß ein weiteres rasches Ansteigen der Importe die Regierung neuerlich zur Verteidigung des Pfund Sterling und damit zu unpopulären respektiven Maßnahmen zwingen könnte. Bis zum Sommer ist allerdings die Stellung des Pfundes auf den Devisenmärkten noch ziemlich sicher; ob dies auch im Herbst der Fall sein wird, bezweifeln bereits jetzt viele Publizisten.

Auch dje vorliegenden Berichte über das Erziehungswesen (Robbins Report), die Forschung (Trend Report) und über eine moderne Verkehrsplanung (Buchanan Report) erleichtern die Lage für die Regierungspartei keineswegs. Im Robbins Report empfiehlt eine Kommission von Fachleuten eine kräftige Förderung des Mittelschulwesens, eine großzügige Dotierung der Universitäten und den Ausbau einer Reihe von Technical Colleges in technischen Universitäten. Die Angelegenheiten der höheren Erziehung sollten im Kabinett von einem eigenen Ministerium für höhere Erziehung, Wissenschaft und Forschung vertreten sein. Obwohl Sir Alec Home in seiner Kampagne für die Nachwahl in Kinross versicherte, die Empfehlungen des Robbins Reports würden raschest verwirklicht werden, ist seit November auf diesem Gebiet nichts geschehen. Der Trend Report bezichtigte in verklausulierter Form die Regierung, in den letzten Jahren die angewandte Forschung nur unzureichend unterstützt zu haben. Der Bericht über die moderne Verkehrsplanung schließlich prophezeit eine Katastrophe, falls die Ausgaben für Verkehrsvorhaben nicht schon in nächster Zukunft vervielfacht werden. Dies gelte vor allem für den Stadtverkehr.

Sir Alec Home hat zu verstehen gegeben, er wolle den bevorstehenden Wahlkampf unter dem Motto bestreiten, daß die Konservativen die einzige Partei sind, welche Großbritannien ein modernes Antlitz verleihen kann. Um diese Behauptung auch nur einigermaßen glaubhaft zu machen, werden die Tories bis zum Wahltermin zumindest auf einen der erwähnten Fragenkomplexe eine Antwort anbieten müssen. Ob ihnen dies in der noch zur Verfügung stehenden knappen Zeitspanne gelingen wird, scheint mehr als fraglich. Die Voraussetzungen für eine überraschende Renaissance der konservativen Regierungspartei in den Monaten unmittelbar vor der Parlamentswahl, die 1955 und 1959 zu beobachten war, dürften diesmal nicht erfüllt sein. Denn die Regierungspartei ist, wie dieser kurze Überblick zeigt, weder in personeller noch in sachlicher Hinsicht geeint und bietet deshalb den Angriffen der Oppositionspartei, unter der Führung des gewiegten politischen Taktikers Harold Wilson, ein nur zu leichtes Angriffsziel.

Einige Londoner Publizisten wollen wissen, daß nach den letzten Meinungstests in einer Zeit außenpolitischer Spannung die Wähler eher dem erfahrenen gegenwärtigen Premierminister vertrauen als der doch noch unbekannten Größe, die eine sozialistische Regierung unter Wilson darstellt. Seit Sir Alec Douglas-Home sowohl in der Zypernaffäre als auch in den ostafrikanischen Unruhen großes Geschick und rasche Entschlußkraft unter Beweis gestellt hat, hat sich dieser Zug noch verstärkt.

Dennoch ist die überwiegende Mehrzahl der politischen Kommentatoren der Ansicht, daß die Einstellung zu den innenpolitischen Fragen die nächste Parlamentswahl in England entscheiden wird. Die in einzelnen Regionen, wie in Nordostengland und Schottland, noch immer relativ hohe . Arbeitslosigkeit, ■ der stetige Preisauftrieb und die. Möglichkeit einer neuerlichen „stop policy“ machen die Aufgabe der konservativen Regierung gewiß nicht leichter. Berücksichtigt man alle Faktoren, dann neigt man zu dem Urteil, daß ein wahres Wunder geschehen müßte, wenn es den Tories in den nächsten Monaten abermals gelingen sollte, eine Niederlage abzuwenden. Jedenfalls dürften sich die Gerüchte eines März-termines als falsch erweisen. Eher ist es wahrscheinlich, daß das britische Volk Ende Juni zu den Urnen gerufen wird. Bis zu diesem Zeitpunkt wird der Premierminister den Vorwurf entkräften müssen, er sei im vergangenen Oktober nur als Kompromißkandidat und Übergangslösung der Nachfolger Macmillans geworden. Wird ihm die Uneinigkeit der Partei dazu Gelegenheit geben?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung