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Bieten die Tories eine Alternative?

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Nach diesem eher schwärzlichen Bild drängt sich die Frage auf, ob die Tories gegenwärtig eine echte Alternative böten. Die vielen Reden konservativer Politiker scheinen ein „Nein“ als Antwort zu enthalten. Der Oppositionsführer berauscht sich und seine Zuhörer mit inhaltsleeren Schlagwörtern, Mr. Heath will versuchen, die Arbeit von 34 politischen Arbeitskreisen, an denen 248 jüngere Tories, unter ihnen 120 Abgeordnete, mitwirken, in einigen Thesen zusammenfassen, die der Oppositionspartei als neue Wahlplattform dienen sollen. Ein solcher Versuch muß mißlingen, weil sich die vielfältigen Probleme der Gegenwart nicht in einigen klingenden Sätzen wiedergeben lassen. Überdies verzettelt sich die parlamentarische Opposition in Angriffen gegen die Kapitalertragssteuer, gegen die Körperschaftssteuer und das gegenwärtig im Unterhaus befindliche Finanzgesetz. Bisher brach sich leider noch kein fortschrittlicher Konservativismus Bahn! Sind sozialer Fortschritt und Konservatives-? mus wirklich unvereinbar? Tfasr scheint es so. Mit Brandaufsätzen gegen eine weitere Entwicklung der

Sozialpolitik, die vielleicht geeignet wäre, die Vermögensunterschiede auszugleichen, wird die Opposition kaum in einer Massendemokratie viel Erfolg haben. Wie wenig die Erben eines Churchill oder eines Disraeli den Mechanismus einer modernen Massendemokratie verstehen“, wie sehr sie ihr innerlich mißtrauen, deutet auch das neue Verfahren an, mit dem ein Parteiführer gewählt wird. Das neue Wahlverfahren umgeht in verschlüsselter Form das demokratische Prinzip: jeder Stimme kommt das gleiche Gewicht zu. Und nach Gerüchten, die in London kursieren, bleibt Sir Alec Douglas-Home nur deshalb Oppositionsführer, well er — und nicht nur er — eine neuerliche Führungskrise befürchtet.

Der innenpolitische Kommentator der „Financial Times“ gibt einer weit verbreiteten Stimmung Ausdruck. Er schreibt, daß die gegenwärtige Lage wohl einzigartig sei, da viele Wähler beide großen Parteien ablehnen. Dies muß allerdings keinesfalls zu einer sozialistischerr Niederlage in einer “etwaigen Neuwahl . im Herbst führen. Die Aus-

sichten dürften derzeit pari sein. Die große Masse der Wähler, die Verkäufer in den Warenhäusern, die Tankstellenwärter, die Fließbandarbeiter bei BMC in Coventry, Stahlarbeiter, die vielen jungen Wissenschaftler in den Forschungslabors der großen privaten Industrie oder der Universitätsinstitute, kümmern sich kaum um die Kapitalertragssteuer oder die Körperschaftssteuer, weil diese Schichten keine Kapitalgewinne erzielen. Dies spräche für einen sozialistischen Erfolg. Gegen einen solchen lassen sich schwerwiegendere Gründe ins Treffen führen. Der Mann von der Straße ist beunruhigt über die Entwicklung der Preise in den letzten Monaten. Die Verbraucherpreise erhöhten sich manchmal von einem Monat zum anderen um zwei Prozent. Die Gemeinden haben ihre Abgabensätze erhöht, wodurch die Wohnungsmieten sich zum Teil empfindlich verteuerten. Spätestens Ende des Sommers wird sich die Deflationspolitik der Regierung auswirken und die Arbeitslosigkeit erhöhen. Alles dies sind unpopuläre Erscheinungen, welche das Geschick noch jedes britischen Kabinetts nach dem zweiten Weltkrieg nachteilig beeinflußt haben.

Der Leu leckt seine Wunden

Harold Wilson hat in den letzten Monaten zweifellos einen geschickten politischen Balanceakt vorgeführt. Auf die grundsätzlichen Schwierigkeiten des Landes hat er keine Antwort gefunden. Es sind nicht einmal Ansatzpunkte zu konstruktiven Lösungen auf außenpolitischem, wirtschaftspolitischem und sozialpolitischem Gebiet zu erkennen. Die gegenwärtige Stimmung der Parteiführer und des Parteifußvolkes läßt solche wahrscheinlich auch gar nicht zu, weil England noch immer unter dem Zerfall seines Imperiums leidet und dadurch seine Einstellung zur Umwelt gestört ist. Wie sein Vorgänger hat auch Harold Wilson über der tagespolitischen Taktik eine vorausschauende Strategie letzten Endes vermissen lassen. Man muß allerdings den Tories bescheinigen, daß sie sich nicht eines atavistischen Rückfalles wie jetzt die Sozialisten mit der Verstaatlichungspolltik schuldig machten.

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