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Heath und die Folgen

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Die englische Presse sollte der konservativen Partei, allen voran ihrem früheren Parteiführer Sir Alec Douglas Home, einen Preis zuerkennen, da der überraschende Entschluß Sir Alecs als Oppositionsführer zurückzutreten, über die „Saure-Gurken-Zeit“ hinweghalf und schon allein deshalb willkommen war. Niemand unter den innenpolitischen Kommentatoren hatte diesen dramatischen Schritt vorausgeahnt, auch Ihr Korrespondent vor seinem Urlaubsantritt nicht. Hatte doch Sir Alec noch wenige Tage vor seinem Rücktritt wissen lassen, daß er die Tories auch in der nächsten allgemeinen Wahl führen werde. Was immer man von dem früheren Oppositionsführer denken mag: Der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung war taktisch bestens gewählt und hat nicht nur die Öffentlichkeit, sondern, und das ist wichtiger, auch Mr. Wilson und die Arbeiterpartei völlig überrascht. Dem sozialistischen Hauptquartier blieb keine Zeit mehr zu einem Gegenmanöver; auch eine vorzeitige Neuwahl ließ sich zwei Wochen vor den Parlamentsferien nicht mehr anberaumen; überdies war eine solche nach dem nicht gerade glänzenden Eindruck, den die Regierung in der Budgetdebatte und in der Auseinandersetzung über die Verstaatlichung der Stahlindustrie hinterließ, durchaus unwahrscheinlich. Sir Alec Douglas Home muß zumindest ein richtiges Zeitgefühl zugebilligt werden; er setzte, um in der Fußballersprache zu reden, wie ein Stopper mit seinem Tackling in dem Moment ein, in dem der Stürmer, Mr. Wilson, gerade auf dem falschen Fuß stand.

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Vier Hypothesen

Der unerwartete Rücktritt des konservativen Parteiführers veran-laßte Freund und Feind und natürlich auch die Presse zu der Frage: Was bewog Sir Alec zu diesem Schritt?

Mangels genauer „inside informa-tion“ entstanden drei, wenn man will vier Hypothesen. Die eine liegt selbstverständlich in der Vermutung, Sir Alec sei nur deshalb zurückgetreten, weil der Zeitpunkt so günstig war; dies unterstellt ihm, daß er schon seit längerer Zeit resignieren wollte und aus verschiedenen Gründen davor zurückschreckte. Alles, was über Sir Alecs Pläne bekannt wurde, schließt eine solche Annahme aus, weshalb wir sie nicht in den Kreis der möglichen und wahrscheinlichen Hintergründe aufnehmen.

Die erste Hypothese holt zur Erklärung der Umstände weit aus. Sie weist auf die umstrittene Art hin, in der Sir Alec Douglas Home im Herbst 1963 (noch als Earl of Home) Mr. Macmillan als Premierminister folgte; weiters auf die Tatsache, daß viele konservative Politiker, vornehmlich jedoch die Wähler aus dem Mittelstand, Douglas Home nie die Fähigkeiten für seine Stellung wirklich zutrauten. Ohne diesen Vertrauensvorschuß kann kein Politiker, und sei er noch so genial, jene Autorität erlangen, die in einer parlamentarischen Demokratie für die reibungslose und richtungweisende Staatsführung unerläßlich ist. Die rückgestaute innerparteiliche Kritik habe dann eben im ersten passenden Zeitpunkt nach der Regelung des Verfahrens, mit dem die Tories ihre Parteiführer bestellen, im Frühjahr dieses Jahres den Druck so verstärkt, daß Sir Alec wich.

Die zweite Hypothese ist mit der ersten in gewissem Sinne verwandt. Sie billigt zwar dem abgetretenen Parteiführer zu, im vergangenen Herbst die konservative Wahlniederlage auf einem Minimum gehalten und zumindest nach außen hin die Einigkeit der Partei nach dem Skandal vom Herbst 1963 wiederhergestellt zu haben. Aber die Ergebnisse der verschiedenen Meinungsbefra--gungen deuteten unmißverständlich auf die höhere Einschätzung hin, der sich Mr. Wilson auf allen Gebieten in der Öffentlichkeit erfreute. Verringerte' sich nach dem konservativen Erfolg in den Gemeindewahlen vom Mai 1965 der Vorsprung des sozialistischen Premierministers vor dem Oppositionsführer vorübergehend, was die Stellung Sir Alecs innerhalb seiner Partei zu stärken schien, so wurde sie im Juli unhaltbar. Die Public Opinion Polls, deren Ergebnisse in der Daily Mail veröffentlicht werden und allgemein als verläßlich gelten, zeigten nämlich, daß selbst traditionelle Tories den Sozialisten Wilson einem Sir Alec Douglas Home als Premierminister vorzögen, weil sie jenen für kompetenter hielten.

Das „Komitee von 1922“

Beide Hypothesen haben einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Entscheidend für Sir Alec dürfte ein Ereignis geworden sein, das den dritten Erklärungsversuch anführt. Neben dem Schattenkabinett, der Partei zentrale, kommt in der konservativen Partei dem sogenannten „Komitee von 1922“, einer Vereinigung der jeweiligen Backbencher, ein fühlbarer Einfluß auf parteipolitische Fragen, vor allem personeller Natur, zu. Ein Ausschuß dieses Komitees trifft sich während der Parlamentssession routinemäßig mindestens einmal in der Woche. Nach durchgesickerten und nicht dementierten Meldungen kam auf einer dieser Routinesitzungen Anfang Juli die bisher peinlich vermiedene Frage eines etwaigen Wechsels in der Parteiführung zur Sprache. Es entstand eine lebhafte Diskussion, die aufgestauten Gefühle brachen sich Bahn. Da nicht alle Mitglieder anwesend waren, vertagte man die Debatte, zumal es den Anschein hatte, als ob bei einer sofortigen Abstimmung Sir Alec kaum das Vertrauen ausgesprochen würde. Mitte Juli ging hinter verschlossenen Türen die Auseinandersetzung des Komitees von 1922 vor sich. Fairerweise hatte man von diesem Vorgang Sir Alec verständigt, und der Einpeitscher war beauftragt, das Ergebnis einer etwaigen Abstimmung dem Oppositionsführer zu übermitteln. Nach einer erregten Erörterung der innenpolitischen Lage kam es zu einer formlosen Abstimmung, die für Sir Alec eine Mehrheit von bloß drei Stimmen ergab. Douglas Home habe die Konsequenz gezogen und kurz darauf seinen Rücktritt erklärt.

Wie immer im politischen Leben dürften jene drei Faktoren, die den wiedergegebenen Hypothesen zufolge den Führungswechsel der Tories erklären sollen, zusammengewirkt haben. Und Douglas Home fällt außerdem das Verdienst zu, die Nachfolgefrage so vorbereitet zu haben, daß ein innerparteilicher Zwist vermieden werden konnte. Wenige Tage nach dem Rücktritt, nach einer so kurzen Zeitspanne, welche die Bildung zweier starrer Fronten nicht zuließ, trat bekanntlich der Klub der konservativen Unterhausabgeordneten zur Wahl des neuen Parteiführers zusammen. Schon im ersten Wahlgang entfiel auf Edward Heath die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen, nicht aber der für einen Sieg erforderliche Vorsprung von 15 Prozentpunkten gegenüber Mr. Reginald Maudling, der immerhin mehr als 130 Stimmen erhielt. Ein zweiter Wahlgang erübrigte sich, weil sowohl Mr. Maudling als auch der dritte Kandidat, Mr. Powell, auf ihre Kandidatur verzichteten. Mr. Heath ist daher von der gesamten Unter-hausfraktion einstimmig zum Nachfolger Douglas Homes gewählt worden.

Mr. Heath blieb praktisch keine Zeit, sich der Öffentlichkeit als der neue Mann der Tories einzuprägen, zumal dieses parteipolitische Geschehnis von den neuen deflationistischen Maßnahmen der Regierung überschattet worden ist. Immerhin gelang es dem neuen Oppositionsführer, sein Schattenkabinett in erstaunlich rascher Zeit zu bilden. Als stellvertretenden Oppositionsführer bestellte er Reginald Maudling und faßte im übrigen die Aufgaben an drei Bereiche zusammen. Mit allen Fragen der auswärtigen Angelegenheiten betraute er Sir Alec Douglas Home, der noch immer als ausgezeichneter Außenminister im Gedächtnis haften blieb; wirtschaftspolitische Fragen wird künftig Ian Macleod betreuen; bewährte Männer wie Sir Edward Boyle und Sir Keith Joseph blieben in der Mannschaft und werden sich mit den Gebieten befassen, für die sie schon als Minister verantwortlich waren (Erziehung und Sozialpolit' :)• Der umstrittene Dogmatiker Enoch Powell wird sich auf. Verteidigungsfragen spezialisieren. Mr. Hogg und Mr. Sandys sind zwar weiterhin Mitglieder des Kabinetts, allerdings ohne besondere Portefeuilles.

Jene zwischen 1000 und 2000 Pfund ... ^Mit der Wahl Edward Heaths scheint die konservative Partei wieder nach links gerückt zu sein, wiewohl dieses Bild die Zusammenhänge sehr vereinfacht wiedergibt. Endlich spiegelt die oberste Parteiführung die Struktur konservativer Wähler im groben wider, da die Politiker, die dem Mittelstand entstammen, das Übergewicht haben. Macleod trat schon seit geraumer Zeit für das sogenannte „salariat“ ein, für die Bevölkerungsschichte, die als Angestellte etwa 1000 bis 2000 Pfund im Jahr verdienen. Heath hat in einem Interview, das er einem

Vertreter der „Sunday Times“ in seinem Urlaubsort arr> der Riviera gewährte, die Bedeutung dieser Wählergruppe für den Ausgang künftiger Wahlen unterstrichen. Allgemein nimmt man an, daß der Führungswechsel in der Torypartei den Liberalen bei der nächsten Wahl beträchtliche Stimmenverluste bringen könnte, wenn Heath als Parteiführer das Bild eines fortschrittlichen Politikers, wie er es bisher tat, beibehalten kann.

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