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Reihen, streichen!

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Wenn das Volk Interesse am öffentlichen Leben haben soll, muß man es mitbestimmen lassen. Es geht nicht an, daß sich die Parteiführungen zwischen Wahlen, also drei bis vier ]ahre lang, bemühen, daß ihnen ja nicht beim „Regieren“ dreingeredet wird, daß dadurch jede Anteilnahme am öffentlichen Leben abgetötet wird, daß aber dann trotzdem verlangt wird, daß der Staatsbürger so viel Interesse aufbringt, zu einer Wahl zu gehen. Die von Wahl zu Wahl immer größer werdende Zahl von NichtWählern ist damit am ehesten zu erklären.

Vor Jahren versuchte man, wenigstens für Wahlen die Anteilnahme zu steigern. Es war ein besonderes Verdienst der Österreichischen Volkspartei, gegen den Widerstand der Sozialisten die Lockerung der starren Listenwahl erkämpft zu haben. Dem Wähler steht jetzt das Recht zu, nicht nur der von ihm bevorzugten Partei seine Stimme zu geben, sondern auch Einfluß auf die Auswahl der Kandidaten zu nehmen. Er darf unerwünschte Personen streichen und solche Bewerber durch Voransetzung einer Ziffer (zum Beispiel 1., 2. oder 3. usw.) auf der Liste nach vorne reihen, die er für besser hält.

Wie sieht dies aber in der Praxis aus? Früher wurden zweierlei Stimm-zettel von den Parteien ausgegeben, solche ohne und solche mit Kandidatennamen. Letztere boten die Möglichkeit, Reihungen und Streichungen durchzuführen — aber derartige Stimmzettel mußte man sich in den Parteisekretariaten eigens holen. Wer machte das schon?!

Jetzt gibt es nur noch den amtlichen Stimmzettel, den man erst im Wahllokal vom Vorsitzenden der Wahlkommission erhält. Dieser Stimmzettel weist jetzt auf der Vorderseite die wahlwerbenden Parteien und auf der Rückseite die Namen der Kandidaten auf. Es ist also das Umreihen oder Streichen entgegen einer von uns ausgesprochenen Befürchtung durchaus möglich. Auf die Rückseite kommt es also an.

Selbst die Vorkämpferin für die größeren Rechte des Wählers, die Volkspartei, vermeidet es jedoch, auf ihre Verdienste zu verweisen, und läßt das Vclk in dem Glauben, daß an den Kandidatenlisten nichts geändert werden dürfe. Den Sozialisten ist dies natürlich sehr recht, denn sie fürcJtten ja die Reihungs- und Streichungsmöglichkeiten der Wähler noch viel mehr und hüten sich deshalb, auch nur ein Wort davon in ihrer Presse zu schreiben. Im Gegenteil, das sozialistische Zentralorgan unterläßt jede diesbezügliche Aufklärung, verweist aber dann darauf, daß die Wähler ohnedies keinen Gebrauch von ihrem Reihungs- und Streichungsrecht machen, und daß man es daher ohne weiteres wieder abschaffen könne!

Aus dieser Haltung allein schon hätte die Volkspartei Gewinn schlagen können. S i e hätte die Wähler aufklären müssen, auch auf die „Gefahr“ hin, daß doch einige Streichungen oder Reihungsvermerke angebracht werden. Dann gäbe es wahrscheinlich eine stärkere Wahlbeteiligung zum Vorteil der Volkspartei. Anscheinend fürchtet aber auch sie ein zu lebhaftes Interesse des Volkes.

Trotzdem werden sich die katholischen Wähler der Volkspartei nicht abhalten lassen, der Rückseite ihres Stimmzettels einige Aufmerksamkeit zu schenken. Sie werden reihen, sie werden streichen. Nicht zuletzt in Wien...

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