7006381-1987_43_24.jpg
Digital In Arbeit

Manche mögen's weiß

Werbung
Werbung
Werbung

Sind Sie ein Weißer? Nein, kein Bleichgesicht im Gegensatz zu einer Rothaut oder einem Mohren! Ein Weißer im Kontrast zu einem Grünen, Blauen oder gar einem bunten Vogel! Ein solcher Weißer sind Sie nicht? Vielleicht noch nicht...

Eine Weile sah es ja so aus, als würden die Grünen die Blauen schlucken, inzwischen knabbern sie aber immer mehr an den Roten, während sich die Blauen eine Scheibe nach der anderen von den Schwarzen abschneiden — aber was ist denn das alles gegen den Vormarsch der Weißen!

Wahlen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Das

Wahlrecht ist hierzulande wohl schon zu lange erkämpft, und die Zahl derer schwindet, die glauben, mit ihrer Stimme etwas bewirken zu können. In Zeiten wie unseren werden von Wahlgang zu Wahlgang die Wahllokale leerer und die Stimmzettel weißer.

Die Weißen sind im Kommen. Ihre Bedeutung liegt zum Unterschied von den anderen politischen Gruppen nicht in der aktiven Nutzung des passiven Wahlrechts, sondern in der passiven Nutzung des aktiven Wahlrechts. Sie wählen nicht und werden nicht gewählt — aber sie werden immer mehr. Und warum würdigt das keiner?

Fast überall ist die Partei der Nichtwähler heute schon die drittstärkste politische Kraft. In Salzburg wäre ihr unlängst sogar der Bürgermeister zugestanden: Rund 38.000 Weißen standen nur knapp 30.000 Voten für die SPÖ und den feschen Reschen gegenüber. Und bei Hochschülerschaftswahlen mögen's nicht nur manche, sondern gut zwei Drittel der Studenten weiß!

Leere Wahlzellen, leere Stimmzettel — wann zieht daraus endlich jemand die richtige Leere, par-don, Lehre?

Und diese Lehre kann doch nur lauten: Leere Sitze in Parlament, Landtagen und Gemeinderäten für leere Wahlzellen und leere Stimmzettel! Wenn in Wien, wo demnächst 100 Gemeinderatssitze zu vergeben sind, 30 Prozent der Wahlberechtigten Wahlabstinenz üben — andere Abstinenz, hick, ist ja an Wahltagen nicht mehr gefragt —, dann soll man eben im künftigen Gemeinderat 30 Sitze leer lassen. Und sollten beispielsweise drei weitere Prozent ungültig wählen, müßte das drei weitere freie Plätze bedeuten.

Jetzt soll mir nur niemand mit dem leeren Argument kommen, die Leere der Wahlzellen und Stimmzettel sei bereits durch den Grad an Leere in den Köpfen der tatsächlich gewählten Politiker berücksichtigt oder durch die von ihnen geäußerten Leerformeln und leeren Versprechungen (die machen nämlich sicher noch einen größeren Prozentsatz ihrer Gesamtaussagen aus, als der Prozentsatz der Nicht- oder Ungültigwähler beträgt)!

Ich will nicht gleich so weit gehen, eine Kürzung der Politikereinkommen im Prozentsatz der Wahlabstinenz zu verlangen — als „Leergeld“ sozusagen. Aber ver-“-wahren möchte ich mich dagegen, die in der Praxis häufige Leere im Plenum gesetzgebender Körperschaften bereits als Äquivalent für die Leere in Wahlzellen und auf Stimmzetteln anzuerkennen.

Nie und nimmer! Die Sitze müssen ständig leer bleiben, nur so machen sie das Ausmaß der Politikverdrossenheit augenfällig und demonstrieren, wie sich die Demokratie zur Oligarchie, die Volksherrschaft zum Rat der Wenigen entwickelt. Wenn bisherige Weiße diesen Trend stoppen wollen, können sie ja bei der nächsten Wahl die Sitzungssäle durch vermehrtes Votieren wieder etwas auffüllen.

Es besteht übrigens kein Grund zur Sorge, daß bei diesem grandiosen Leermodell Splittergruppen überrepräsentiert werden. Im Gegenteil: Mandate werden teurer, da sie ja nach der Zahl der Wahlberechtigten und nicht nach der Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen vergeben—oder leer gelassen — werden.

Die Idee ließe sich natürlich auch auf anderen Gebieten Weiterspinnen, wenn man genügend Phantasie besitzt. Man könnte zum Beispiel an den Hochschulen eigene Leerstühle errichten, um die Forschung auf diesem Gebiet (Forschung und Leere gehören unbedingt zusammen) voranzutreiben.

Die schütter besetzten politischen Gremien wären nicht nur ein herrliches Anschauungsmaterial für den Zustand unserer Demokratie, es gäbe auch kürzere Sitzungen, weniger Reden, weniger Aufwand. Der Sparkurs würde glaubwürdiger, wenn Politiker sich selbst einsparten, wenn sie ihre Gremien wirklich entsprechend dem Grad der Wahlenthaltung leerten.

Auch leere Flaschen haben bekanntlich ihren Wert. Daß Leeres für ihn wertvoll sein könnte, soll auch der Finanzminister bereits erkannt haben. Er plant, wie die FURCHE aus einem geheimen, mit 1. April 1987 datierten Akt weiß, demnächst als „Oberleerer der Nation“ in allen Kassen des Landes mittels einer „Leerwertsteuer“ gähnende Leere herzustellen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung