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Das vorgeplante Parlament

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Hatte man während des Prager Frühlings die führende Rolle der KPTsch zwar nie in Frage gestellt, so wollte man deren Führungsfunk- tion doch anders auffassen und realisieren, machte sich. Gedanken über die Rolle anderer politischer Parteien, deren Zügel man etwas locker ließ, und überlegte auch, db nicht eine „formierte Opposition“ gewisse Aufgaben hätte.

All diese Fragen und steckengebliebenen Erwägungen sind tatsächlich die schwerwiegendsten Verbrechen gewesen, die man später den führenden Männern des Jahres 1968 vorwarf. Zweieinhalb Jahre nach diesem Geschehen wagte Prags Parteichef Husäk Neuwahlen, die allerdings in der nunmehr gewählten Form kaum irgendein politisches Risiko enthielten, denn hatte Prag innerhalb des Ostblocks einst eines der rigorosesten und undemokratischesten Wahlsysteme, so wurde diese Tendenz durch das Wahlgesetz 1971 öher noch verschärft.

Dabei war die jetzige Wahl gewichtiger denn je, denn der einzelne Staatsbürger und Wähler hatte nicht weniger als sechs Entscheide gleichzeitig zu fällen. Er bekam insgesamt sechs Stimmzettel, und zwar für die Volkskammer der Bundesversammlung, für die Nationenkammer der Bundesversammlung, für den tschechischen bzw. slowakischen Nationalrat, für den Kreisnationalausschuß, den Bezirksnationalausschuß und den Ortsnationalausschuß. Lediglich in Prag, Preßburg, Brünn,

Ostrau, Pilsen und Kaschau mußte der Staatsbürger nur fünfmal wählen, weil an Stelle der Kreis-, Bezirks- und Ortsnationalausschüsse nur Stadt- und Sprengelausschüsse gewählt wurden.

Wie bedeutsam auch diese Wahlen waren, die nach sowjetischem Vorbild künftig alle fünf Jahre statt- flnden sollen, ersieht man auch aus der Tatsache, daß für die Volkskammer 200 Abgeordnete (137 in der Tschechischen Republik und 63 in der Slowakischen Republik) gewählt wurden, dazu 150 Abgeordnete der Nationenkamimer (75 Tschechen, 75 Slowaken), 200 Mitglieder des tschechischen Nationalrates und 150 Mitglieder des slowakischen Nationalrates, die Mitglieder von acht Kreisnationalausschüssen in Böhmen-Mähren und vier in der Slowakei, die von 120 Bezirksnationalausschüssen, schließlich die von 10.500 Ortsausschüssen.

Auffallend war vorerst einmal, daß die Föderalisierung der Republik naturgemäß bei der Sprengeleinteilung zur Kenntnis genommen wurde, nicht aber bei unterschiedlichen Wahlterminen, wie dies in anderen föderalistisch organisierten und gegliederten Ländern der Fall ist, sondern daß an einem einzigen Monsterwahltag alle Wahlen zusam- mengefaßt wurden.

So kompliziert eine sechs- beziehungsweise fünffache Wahl auch erscheinen mag, so einfach hat man es dem Wähler auf der anderen Seite übrigens gemacht — so daß man von einer „Wahl“ in unserem Sinne überhaupt nicht sprechen konnte.

Kein Protest

Auf jedem Stimmzettel stand ein einziger Kandidat, den man akzeptieren oder streichen konnte. Die Kandidaten waren schon bis zum 22. Oktober durch die Nationale Front unter Parteichef Husäk fixiert worden, wobei es natürlich vorkam, daß in einem Wahlkreis als einziger Kandidat auch ein Nichtkommunist aufschien. Nun waren Streichungen von vornherein ohne die geringste Chance, denn um wirksam zu werden, hätten mehr als 50 Prozent aller Wähler eines Wahlkreises von dieser Möglichkeit Gebrauch machen müssen. Streichungen hätten also bestenfalls eine Demonstration darstellen können, verständlicherweise auch mehr gegen einen einzelnen Kandidaten als gegen das Regime. Aber auch gegen diese bescheidene Möglichkeit hat man Hürden eingebaut. So erklärte noch rechtzeitig im Oktober das Zentralorgan der KPTsch, das Prager „Rudė Prävo“, geheime Wahl sei zwar das „Recht“ eines Staatsbürgers, der dazu aber nicht verpflichtet sei. So war das Verschwinden eines Wählers hinter dem Wahlkiosk eine seltene Ausnahme, die sofort Verdacht hervorrief. Die allermeisten Wähler nah- man die Stimmzettel vom Wahlleiter entgegen und warfen sie sofort vor den Augen der Mitglieder der Wahlkommission in die Urne. Die andere Möglichkeit einer bescheidenen De monstration bestand darin, überhaupt nicht zur Wahl zu gehen, was gegenüber der ersten Möglichkeit zweifellos einen etwas pointierteren Protest gegen das Regime darstellte — in der Praxis natürlich noch wirkungsloser als irgendeine

Streichung. Auch dem versuchte man übrigens zu begegnen, indem man den Wahltag erstmals vom Sonntag weg und auf zwei halbe Werktage verlegte, um jeweils als „geschlossener Betrieb“ zur Wahl zu gehen. Und je kleiner der Betrieb und je unscheinbarer das Dorf, um so größer das Risiko für einen, der nicht wählen wollte.

Man nahm also den Ausfall von Millionen Arbeitsstunden in Kauf, nur um die Wahlbeteiligung hoch- ha-lten zu können.

So hatte die Zentrale Wahlkommission mit .ihren 51 Mitgliedern, unter denen 34 Kommunisten, zwei Vertreter der Volkspartei und fünfzehn weitere Mitglieder waren (etwa auch der Olmützer Kapitelvikar Vrana, Caritasdirektor Mara und der Rektor der Prager Universität, Svestka), wenig Arbeit und mehr eine dekorative Funktion.

Nach langem Interregnum und längst überfälligen Wahlen hat man in Prag also wieder Fassaden der Vertretungskörper errichtet; das Gewicht echter Volksvertreter werden die neuen Männer und Frauen nicht einibringen können.

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