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DIE EREMITAGE - 200 JAHRE ALT

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Es war während der Regierungszeit Katharina II., als russische Gesandte und Botschafter in den westlichen Ländern auf allerhöchsten Auftrag begannen, Gemälde und andere Kunstschätze zu erstehen und sie unverzüglich an den Zarenhof nach Petersburg zum Aufbau einer kaiserlichen Kunstsammlung, eben der Eremitage, zu senden. Die erste größere „Sendung“ traf 1765 in Petersburg ein. Als sieben Jahre später in Kronstadt, der Inselfestung vor Petersburg, die „Lastotschka“ (auf deutsch: die „Schwalbe“) vor Anker ging, wurden aus ihren Laderäumen 17 riesige Holzkisten, die mit Kunstschätzen, deren Wert sich heute unmöglieh mehr beziffern läßt, vollgepfropft waren, an Land gebracht. Als Absender, zeichnete der französische Philosoph und Enzyklopädist Denis Diderot. So wurden damals unter anderem die „Danae“ von Rembrandt van Rijn, „Maria mit dem Kinde und dem heiligen Josef“ von Raffaelo Santi und weitere Werke von Rubens, Tizian, van Dyck, Giorgino der kaiserlichen Kunstsammlung einverleibt

Heute stellt die Eremitage eine der wichtigsten und größten kunst- und kulturgeschichtlichen Sammlungen dar. Zur Illustration seien nur einige Fachgebiete angeführt, die in der Eremitage vertreten sind: westliche Malerei, die Kunst Indiens, Chinas, des alten Ägyptens, Roms, Griechenlands, die Kunst Amerikas in der Zeit vor Kolumbus, Ausgrabungen aus allen Teilen Rußlands, insbesondere sehr wertvolle Sammlungen aus der Skythenzeit (siebentes Jahrhundert vor bis drittes Jahrhundert nach Christus), Ausgrabungen aus den Steppengräbern (Kurgani) von Solocha (aus den Jahren 1912 bis 1913), großartige Sammlungen an Silber, insbesondere des sogenannten Sassanersilbers aus der Zeit der Herrschaft der persischen Dynastie der Sassa-niden aus den Jahren 226 bis 651 nach Christus, ferner französisches und englisches Porzellan, italienische Majolika aus dem 16. Jahrhundert usw. Die „Reserven“, das heißt jene Kunstschätze, welche der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden können, weil trotz der über 1000 Räume der Eremitage dafür kein Platz zur Aufstellung mehr vorhanden ist — diese Reserven würden ausreichen, die Eremitage noch viermal zu füllen. Übrigens bedeutet dieses Material eine unerschöpfliche, wenn auch nur schwer zugängliche Fundgrube für Kunsthistoriker.

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Den Grundstein zur zukünftigen Eremitage legte bereits Peter I. der Große durch den Ankauf einer Venusstatue aus Parma. Dem Abgesandten des Zaren, einem gewissen Jurij Kologriwow, wurde es nämlich zur Aufgabe gemacht, die im Ausland lebenden russischen Maler zu betreuen. Bei dieser seiner Tätigkeit nahm er sich aber auch Zeit, die Ausgrabungen in Italien zu besichtigen, und bei dieser Gelegenheit stieß er auf eine herrliche Marmorstatue der Venus. Nun war es aber auch schon damals nicht einfach, ein solch wertvolles Kunstwerk aus Italien herauszubringen. Die Behörden wollten ihm, dem „Barbaren aus dem Osten“, das Kunstwerk nicht verkaufen, außerdem war es auch unmöglich, eine Ausfuhrgenehmigung zu erhalten. Da wurde nun ein geschickter Diplomat eingesetzt, welcher dem Heiligen Vater die in Reval erbeuteten Reliquien der Heiligen Brigitte zum Tausch gegen die zwar schöne, aber immerhin nicht sehr heilige Göttin der Liebe vorschlug. Papst Klemens XI. gab sein Einverständnis, und so wanderte die Venus in einer speziell verfertigten gefederten Holzkiste von Rom nach St. Petersburg. Bei ihrer Ankunft gab Peter ein großes Fest, und zu ihrem besonderen Schutz mußte ein Grenadier Posten beziehen. Heute stellt die Eremitage ein einheitliches Kunstwerk dar. So war es aber nicht immer, und auch heute noch besteht sie in ihrer Grundkonzeption eigentlich aus fünf Komplexen: dem vom italienischen Baumeister Rastrelli 1762 erbauten Winterpalais, dann der sogenannten kleinen Eremitage (1767), der alten Eremitage (1784), dem Theater der Eremitage (1787) und der nach schweren Brandkatastrophen 1852 wieder aufgebauten Neuen Eremitage. Die Eremitage befand sich im Besitz der Zarenfamilie, ihre

Räume waren die Fortsetzung der Privatgemächer, ihre Kunstwerke sollten dem Besucher den Glanz und den Reichtum des Zarenhauses vor Augen führen. Für das „Volk“ war die Eremitage nicht zugänglich. Wenn gerade keine Empfänge stattfanden, standen die Räume leer. So tat Kaiserin Katharina den berühmten Ausspruch, daß sie und die ... Mäuse die einzigen Besucher der Eremitage seien. Bis 1852 war die Privatsammlung außer für die Gäste des Zaren für niemanden zugänglich. Und sogar nach der offiziellen Eröffnung des „Kaiserlichen Museums“ — wie die Eremitage anfangs hieß — wurden besondere Vorschriften ausgearbeitet, um das Museum vor dem Zustrom der breiten Massen zu schützen.

VÜVollte ein Kunstliebhaber trotzdem in das Museum ge-W langen, mußte er Bittgesuche abfassen, und es dauerte immerhin bis um die Jahrhundertwende, daß die Sammlungen allgemein zugänglich gemacht wurden. Nach der Revolution erlebte die Eremitage eine seltsame Entwicklung. Räumlich erfuhr das Museum durch die Adaptierung der früheren Privatgemächer der Zarenfamilie eine spürbare Erweiterung. Gleichzeitig wurden die Sammlungen durch Konfiskationen von andern Privatsammlungen wesentlich vergrößert und bereichert. Hierher gehören die Bestände der im Westen zum Teil wenig bekannten großen russischen Kunstliebhaber und Sammler, wie etwa Mjatlev und Dur-nowo sowie der eher bekannte Prinz von Oldenburg, der Fürst von Jussupow. Fürst Jussupow ist im Westen und in der Geschichte vor allem durch seine Mitwirkung an der Ermordung Rasputins bekannt, weniger jedoch als Erbe unschätzbarer Reichtümer, Schlösser und Kunstgegenstände. Noch immer ist zum Beispiel das in der Nähe von Moskau liegende Schloß „Archangelskoe“ ein Musterstück russischer Kultur und Gartenkunst und trotz reichlicher Abgänge an die Museen ist es noch immer ein Kleinod unter den Galerien mit Gemälden großer Meister.

Uberhaupt ist das Schicksal russischer Sammlungen nach der Revolution oft eigenartig; zum Glück aber sind die meisten trotz allem verhältnismäßig gut erhalten geblieben. Vor allem während des zweiten Weltkrieges sind die Sammlungen der Eremitage unversehrt geblieben. Sie waren in sichere Entfernung vom Kriegsgeschehen gebracht worden. Die Eremitage ist aber nicht nur ein Museum, sondern auch ein Forschungszentrum, das sich intensiv mit der Malerei beschäftigt. Außer Führungen, Vorträgen und wissenschaftlichen Arbeiten, wird von der Eremitage auch Material zu Ausstellungszwecken ausgeliehen. So wurde von der Eremitage an die zur Zeit in Moskau stattfindende Ausstellung der deutschen und österreichischen Malerei vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, das berühmte Bild der Großfürstin Maria von Franz Xaver Winterhalter ausgeliehen.

Van den Modernen, die in der Eremitage zahlreich vertreten sind, seien Pierre Bonnard (gestorben 1947), Andre Derain (gestorben 1954), Henri Matisse (gestorben 1964), Pablo Picasso — der übrigens mit 16 Bildern allein aus der Frühzeit, endend mit dem Jahre 1913, vertreten ist — erwähnt. Die Entwicklung Rußlands hat es mit sich gebracht, daß über die Eremitage auch so manche politische Stürme hinweggebraust sind. Nicht nur, daß der ganze Gebäudekomplex in den Tagen der Machtübernahme durch die Kommunisten im Zentrum der Ereignisse stand und damit höchst gefährdet war. In den ersten Jahren nach der Revolution war davon die Rede, die Eremitage nach Moskau zu übersiedeln, was auch teilweise durchgeführt, später aber wieder rückgängig gemacht wurde.

Es ist zum Beispiel auch bekannt, daß der gestrenge Zar Nikolaus I. (1825 bis 1855) das Porträt eines seiner Generäle aus der Galerie entfernen ließ, da dieser an der Revolution 1825 teilgenommen hatte, auch Voltaire mußte aus dem Museum entfernt werden, und zwar wegen seiner „schädlichen“ Gedanken, welche gerade am Anfang des 19. Jahrhunderts in Rußland populär wurden. In der Neuzeit wurden natürlich noch einige andere politische Umgruppierungen vorgenommen, so wurde z. B. die Stelle, an der früher einmal der Zarenthron stand, durch eine riesige Landkarte Rußlands aus Halbedelsteinen ausgefüllt, der alte Thron von Peter dem Großen blieb allerdings erhalten.

Als ein düsteres Kapitel im Leben des Museums 6ind wohl die dreißiger Jahre zu betrachten, als die Sowjets nämlich einen Teil der Schätze im Ausland verkauften. Am achten Mai 1930 wurden allein in Leipzig 2000 Stiche und Radierungen versteigert, von denen 100 von Dürer und 40 von Rembrandt stammten. Am 30. November 1930 wurden fast 200 Graphiken von Rembrandt und 50 Arbeiten von Dürer neben weiteren 1426 Stück verkauft. Diese Verkäufe liefen weiter, die Sowjets haben aber die Werke nicht nur öffentlich versteigert, sondern haben sie auch an Privatsammler im Westen verkauft. Zwei Gründe werden für diese merkwürdige Aktion ^er damaligen sowjetischen Führung angeführt: zunächst die Hungersnot in Rußland, der damit verbundene Mangel an Valuten und die Notwendigkeit, um jeden Preis Valuten zu besorgen. Nun, das war der Preis! Der zweite Grund ist für uns vollkommen unbegreiflich: durch die Sozialisierungen und Konfiskationen — auf gut deutsch: die vollkommene Enteignung — wurden alle erstklassigen Kunstschätze in den Museen und hier wiederum in der Eremitage konzentriert. Sogar für Einheimische war es überraschend, wie viele Kunstschätze in privaten Händen gewesen waren. Die Überfülle des vorhandenen Materials war einfach nicht zu bewältigen, und man sah auch keine Möglichkeit, es in absehbarer Zeit zu ordnen, geschweige denn auszustellen, denn trotz räumlicher Vergrößerung war noch immer viel zuwenig Platz in der Eremitage. Angeblich war diese Überlegung damals maßgebend, als man beschloß, einen Teil der Reserven zu verkaufen... Jedenfalls zählt die Eremitage heute (nach Descargues) 8000 Gemälde und (nach sowjetischen Quellen) 40.000 Zeichnungen und 500.000 Stiche.

Fs besteht kein Zweifel, daß die Sowjets und der kleine Mann auf der Straße ihre Eremitage lieben und schätzen. Sie sind stolz auf die riesige Sammlung, auf das Schöne und auch auf das Wertvolle, das sich in ihr repräsentiert. Doch auch für uns ist die Eremitage ein Symbol, beweist doch diese Konzentration von Zeugnissen westlichen Kulturschaffens und die Liebe, die ihnen der russische Mensch entgegenbringt, daß gemeinsame Kulturgüter und damit auch die Grundlage einer gemeinsamen Sprache vorhanden sind.

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