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Schätze auf Revanche

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Über das Zustandekommen, den Umfang und die Umstände der am 24. Mai eröffneten Albertina-Ausstellung „Meisterzeichnungen aus der Eremitage in Leningrad, dem Puschkin-Museum und der Tretjakow-Galerie in Moskau“ wurde in der „Furche“ (13. Mai) bereits so ausführlich berichtet, daß sich ihr Kritiker auf seine persönlichen Eindrücke beschränken kann:

Daß Wien, nach Stockholm (1963), Venedig (1964), Göteborg (1970) und Budapest (1970) Meisterzeichnungen aus der Eremitage beherbergen darf und daß diese Ausstellung durch die Beiziehung von im Ausland noch nicht gezeigter russischer Graphik des 19. und 20. Jahrhunderts erweitert wurde und damit die größte ist, die je die Grenzen Rußlands verlassen hat, ist als Ereignis zu werten und gibt zu berechtigten Hoffnungen auf weitere Veranstaltungen diesen Ranges Anlaß. Dies um so mehr, als 70 Zeichnungen von nahezu 40.000 in der Eremitage geradezu nur als Appetitanreger wirken können, wobei man den Eindruck nicht los wird, daß neben dem Anbot von unbestreitbaren Cimelien und erster Garnitur in manchem auch weise Zurückhaltung geübt wurde.

Die russischen Zeichner des 19. Jahrhunderts, vor allem Kiprenski,

Brüllow (der zwischen Ingres und Danhauser einzureihen ist), der mystisch-symbolische A. Iwanow, Repin, der bizarre Wrubel, der an Anders Zorn erinnernde Maljawin, Valentin Serow und Borissow-Mus-satow, besitzen durchaus europäisches Format und man würde sich freuen, sie in größerem Umfang und Zusammenhang wiederzusehen. Das kann man beim 20. Jahrhundert durchaus auch von der frühen Zeichnung von Lebedew sagen, während Marc Chagall — boshafterweise? — nur mit einem recht schlechten Agitprop-Blatt aus seiner Kunstemissärszeit in Witebsk vertreten ist. Durch das bewußte Ausklammern der Konstruktivisten, die noch an Westeuropa anschlössen, wird die Stagnation, die vor allem mit dem Ende der Ära Lunatscharski einsetzte, besonders deutlich. Trotzdem verraten die nach etwa 1933 entstandenen Arbeiten zum Teil noch gediegenes Können, wenn sie auch keine Offenbarungen sind. Alexander Dei-neka, Fonwisin, Konaschewitsch, Mitschuritsch, Pimenow und Tyrsa, alles Vertreter ältester Generation oder schon tot, zeigen ansprechende Leistungen.

Die Glanzstücke der Ausstellung sind aber nach wie vor in den Blättern aus der Eremitage zu suchen, mit den Höhepunkten von Rubens aquarellierter Zeichnung zu der „Steinigung des heiligen Stephanus“ (die einen eindeutigen Vergleich mit einer benachbarten Jordaens-Skizze ermöglicht) und seiner hervorragenden Landschafts-Gouache, von Dürers „Maria mit dem Kinde“ (im Gegensatz zu der eher peinlichen „Allegorie“) von Piero di Cosimos kompakter „Kopfstudie“ oder

Carpaccios ziselierter „Dame und Page'“, Frangois Cloutes präzisem und durchdringendem Bildnis „Karls IX.“, den Portraits von Dumonstier, der biblischen Komposition von Pousssin (dabei keineswegs eine seiner besten), der interessanten Studie zur „Malerwerkstatt“ von einem der Brüder le Nain oder dem meist unterbewerteten Saint-Aubin. Man findet sie in den beiden Collts (zwei von nahezu tausend in der Eremitage!), in zweien der vier Blätter von Tiepolo Vater und Sohn, in zweien der drei Rem-brandts in der Studienskizze von Tintoretto, der Flußlandschaft von van Goyen, den überraschenden Landschaften von Philips Köninck und Roelandt Savery (die ihre Bilder überragen), den hervorragenden Ostades von Rembrandt-Format und den beachtlichen Arbeiten von Daniele da Volterra, Primaticcio, den Carraccis, Parmigianinos, Palma il Giovane's, von Grenze und Dore.

Zwei ausgezeichnete Matisse-Zeichnungen stehen dann stellvertretend für die reichen Sammlungen an westlicher Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts, die sich in Leningrad und Moskau befinden. Eine hervorragende und glänzende Ausstellung, aber wie gesagt vor allem ein Appetitanreger. Da sie in Wien nur bis zum 25. Juni (in Graz vom 30. Juni bis 23. Juli) gezeigt wird, sollten sich die Interessenten beeilen, um sie nicht zu versäumen.

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