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Erziehung statt Schock

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FURCHE: „In dem neuen Theater im Künstlerhaus haben Sie nun einen Bühnenraum, der nach Ihren Angaben gebaut wurde und viele Möglichkeiten bieten soll. Wie werden Sie ihn verwenden?“

C. H. M.: „Ja, wir haben nun einen Bühnenraum, auf dem wir jede erdenkliche Art der Inszenierung durchführen können. Wir können eine alte Guckkastenbühne genauso wie eine Laufstegbühne, eine Panoramabühne und eine Arenabühne daraus machen. Die Sitze werden jeweils so angeordnet, daß der Zuschauer nicht mehr dem Geschehen allein für sich, in Konsumhaltung, gegenübersitzt. Wir haben nun die Möglichkeit, die Leute so zu placieren, daß sie auf eine neue Art erfaßt werden.“

FURCHE: „Werden Sie auf Ihrem neuen Theater auch moderne österreichische Schriftsteller, wie Handke, Bauer oder Bernhard, spielen?“

C. H. M.: „Modeströmungen haben wir nie mitgemacht, wir setzen unser gesellschaftskritisches Theater fort und wollen Konflikte aufzeigen, wo wir sie gerade sehen. Wir bemühen uns um eine dauernde Infragestellung unsererselbst, denn sonst sind wir bald die Hausmeister von morgen.“

FURCHE: „Wie stehen Sie zu der von linken Gruppen stark forcierten Idee eines Agitationstheaters?“

C. H. M.: „Ohne die Erfahrungen eines Piscator kommen wir heute nicht aus. Auch wir agitieren. Doch will ich das nicht so verstanden wissen, daß man mit Plakaten und Sprüchen auf die Bühne kommt. — Das Theater ist ein Medium, das wir brauchen. Das hat auch nichts mit Schock zu tun. Ich distanziere mich vom Schocktheater! Es ist keine Lösung, nur eine Verunsicherung. Der Mensch soll in seinen Fehleinstellungen verunsichert werden, das wird aber nicht durch einen Schock erreicht.“

FURCHE: „Werden Sie auch etwas für die Jugend tun?“

C. H. M.: „Wir wollen schon in der nächsten Saison ein Kindertheater aufbauen. Kindertheater ist eminent wichtig! Hier haben wir die Möglichkeit, ein Theaterihteresse fürs spätere Leben zu wecken. Wir wollen das Kindertheater sehr sorgfältig planen und mit Pädagogen und Psychologen arbeiten, damit daraus nicht eine neue Art von Manipulation entsteht. Es müssen sich aus unserer Gruppe einige Schauspieler ganz dem Kindertheater widmen, es erfordert einen ganzen Menschen. Es müssen Schauspieler sein, die sich für Kindererziehung durch das Mittel Theater interessieren.“

FURCHE: „Haben Sie dafür schon Stücke in Aussicht?“

C. H. M.: „Stücke gibt es keine. Wir müssen sie selbst zusammenstellen. Es gibt wohl einige deutsche Modelle, doch haben die einen anderen Boden, sie sind für das österreichische Kind nicht übertragbar. Man muß vorher auf Spielplätzen herumhorchen. — Außerdem wollen wir auch Gastarbeiter ansprechen und uns um sie bemühen.“

FURCHE „Haben Sie für dieses größere Theater nun mehr Schauspieler, und woher kommen diese?“

C. H. M.: „Ja, wir haben schon einige dazuengagiert, doch müssen sie erst in unsere Gruppe hineinwachsen. Ich möchte mit Ilse Scheer und ihrer Gruppe wieder zusammengehen. Außerdem halte ich die Gründung einer Schauspielschule an unserem Theater für essentiell. Die Ausbildung der Schauspieler ist völlig unzureichend, sie kommen aus den hiesigen Schulen als arme Hascherl, die vielleicht ein paar Tränen produzieren können. Eine solche Schule muß an einem Theaterbetrieb angeschlossen und praxisbezogen sein. Auf diese Weise haben die Amerikaner hochqualifizierte Künstler herangebildet.

Das Gespräch für die Furche führte Linda de Elias-Blanco.

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