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Leone, der kleine Löwe...

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Die Wahl Giovanni Leones zum sechsten Staatspräsidenten der Italienischen Republik, wenige Stunden vor dem Weihnachtsabend, hat bei den tausend Elektoren im Monte-citorio-Palast viel Händeklatschen, aber auch kaum weniger Protestrufe ausgelöst. Christlichdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Republikaner freuten sich über den nach 15 überaus anstrengenden Tagen errungenen Sieg und feierten einen Mann, der seit ihrer Gründung nach dem Krieg der Democrazia Cristiana angehört, aber nie eine Parteistellung bekleidete und sich bemühte, stets im Dienste des Landes und jenseits der Parteien Haß und Gunst zu bleiben. Der Linksblock — Kommunisten, Linkssozialisten und Sozialproletarier — kritisierte hingegen den kaum bestreitbaren Umstand, daß beim äußerst knappen Wahlausgang einige neofaschistische Großwähler offenbar den Ausschlag gegeben hatten.

Der neue italienische Staatspräsident ist — nach Anzahl der Urnengänge und der erzielten Stimmresul-tate — noch schlechter gewählt worden als sein Vorgänger Giuseppe Sa-ragat, der am 28. Dezember 1964 im 21. Wahlgang mit 637 Stimmen den Großen Preis um den Quirdnal gewonnen hat. Wie im Falle des bisherigen Hausherrn, besteht jedoch auch diesmal guter Grund, mit der Entscheidung der 1000 Elektoren zu guter Letzt vollauf zufrieden zu sein. Da die Verfassung eine Wiederwahl nicht ausschließt, könnten es bei Bewährung angesichts des „jugendlichen“ Präsidentenalters von 63 Jahren leicht 14 Jahre werden, die der sechste Staatspräsident in der ehemaligen Residenz der Päpste (bis 1870) und der Könige (bis 1946) verbleiben dürfte.

Leone war Favorit der italienischen Präsidentschaftswahlen im Jahre 1964 gewesen, doch sieben Jahre später sprach man bei der Auseinandersetzung um die Nachfolge Saragats zunächst kaum von ihm. Er galt als zu vornehm, um in die Arena der sich gegenseitig bekriegenden Parteien zu steigen. Bezeichnenderweise war er nie Minister; bekanntlich rissen sich die einzelnen politischen Gruppierungen und Parteien in einem überaus hitzigen Machtkampf um die fetten Pfründen und Einflußgebiete. Leone gehörte aber nie irgendeiner Parteiströmung der DC an. Seit einem Vierteljahrhundert bemühte er sich immer, jenseits der Parteien Haß und Gunst zu stehen und mehrmals, zuletzt beim Ringen um das Ehescheidungsgesetz, ist er in scheinbar auswegslosen Situationen zwischen den Streithähnen als Schiedsrichter aufgetreten. Aus seiner Abneigung gegen das Vorgehen katholischer Ultras bei der Abschaffung der Scheidung durch eine Volksbefragung machte er nie ein Hehl. Dabei sieht er in der Familie „den einzigen festen und unverrückbaren Bezugspunkt des Individuums.“ Er pflegt mit seiner Gattin und seinen drei Söhnen ein vorbildliches Familienleben nach bester italienischer Tradition zu führen.

Verteiger einer klaren Trennung von Kirche und Staat

Als anerkannter Rechtswissenschaftler und prominenter Strafver-teidiiger, vertrit Leone die in der italienischen Verfassung verankerte, vielfach aber mißachtete Trennung von Kirche und Staat. Juristischer

Korrektheit mag es nicht zuletzt zuzuschreiben gewesen sein, daß Leone nicht schon vor neun Jahren zum Präsidenten gewählt wurde. In der Nacht vor der Wahl Segnis soll sich der Kommundstenfüihrer Togliatti mit Kammerpräsident Leone getroffen haben, um ihm die ausschlaggebenden Stimmen des Linksblocks anzubieten. Die Durchführung der Pro-Leone-Operation hätte jedoch die Verschiebung eines bereits angesagten Wahlganiges vorausgesetzt, und dazu konnte sich der Kammerpräsident nicht entschließen. In diesem Urnengang erlangte Segni dann aber eine kleine, doch ausreichende Mehrheit, so daß die Öffentlichkeit erst nach Jahren von diesem vergeblichen kammonistischen Schachzug erfuhr. Nicht ohne Bangen fragen sich viele Italiener, wieviel wohl bei den „Hinterrücks-Manövern“ diesmal gespielt wurde.

Ergiebige Sommerkabinette

Als die Koalitionspartner des Linken Zentrums nach wochenlanger Regierungskrise 1963 und 1968 nicht mehr ein und aus wußten, übertrugen die Staatspräsidenten Segni und Saragat dem „napolitanischen Outsider“ das Mandat der Bildung einer sogenannten Sachwalterregierung. Leone sollte als „Ministerpräsident auf Abruf“ lediglich die dringendsten außen- und innenpoliti-tschen Geschäfte erledigen und nach gefestigter Links-Mitte-Allianz im Spätherbst sang- und klanglos von der politischen Bühne abtreten. Zum Erstaunen der Öffentlichkeit und aller Protagonisten des politischen Lebens aber brachte Leone mit seinen jeweils nur einen Sommer lang geduldeten und darum scherzhaft als „Babystnang-Kabinette“ apostrophierten christlichdemokratischen Sicherheitsregierungen mehr zuwege als Moro und Rumor mit ihren auch von Linkssozialisten, Republikanern und Sozialdemokraten bemannten Ministerien. Alighero Noschese, Liebling und Enfant terrible des italienischen Fernsehpuhlikums, prägte darum das Bonmot, der „Löwe von Neapel“ werde mit seiner provisorischen Regierung Definitives, alle anderen Regierungen nur Provisorisches, erzielen. Leone regiere wirklich, die anderen hingegen reagierten nur.

Nicht nur im Gespräch unter vier Augen, sondern auch auf dem hohen Sitz des Abgeordnetenhauses, pflegte Leone zum Ach und Weh der parlamentarischen Stenographen außerordentlich schnell zu sprechen — 160 Wörter pro Minute — und alles in bestem napolitanischen Dialekt. Symptomatisch die blitzschnelle Replik auf Pajettas unverzagte Zwischenrufe. Als der kommunistische Abgeordnete Goresio — das „böse Maul vom Montecitorio“ — seine Störmanöver nicht aufgeben wollte, rief Leone von seinem hohen Sitz Pajetta zu: „Abgeordneter Pa-jetta, schauen Sie mir nur einen Augenblick lang fest in die Augen!“ Der sonst nie verlegene Kommunist war verblüfft, und Leone hatte die Lacher auf seiner Seite.

Die freie Welt hofft nun mit vielen Italienern, daß es Leone im Quiri-nal mit dem gleichen Geschick gelingen werde, die sich gegenseitig hart bekämpfenden politischen Parteien mit einem rechten Wort zur rechten Zeit zur Vernunft zu bringen. Die Verfassung räumt dem Präsidenten das Recht ein, Botschaften an die Nation oder an das Parlament zu richten und hinter den Kulissen im Interesse der nationalen Einheit als ausgleichender Schiedsrichter tätig zu sein. Ob er gleichsam fünf Minuten vor zwölf Uhr die Entwicklung zur unbeschränkten Linksöffnung und zur Aufnahme der KPI in die Regierung aufhalten und ihr durch Bildung einer auch von den Liberalen (mit den Monarchisten und der Hochfinanz im Hintergrund) gestützten Zentrumsregierung eher entgegenwirken kann, ist für Italien das große Fragezeichen des Jahres 1972.

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