6732991-1966_07_11.jpg
Digital In Arbeit

Mehr, als der Titel verspricht

Werbung
Werbung
Werbung

SEBASTIAN BRUNNERS STELLUNG ZU LESSING, GOETHE UND SCHILLER. Ein österreichischer Beitrag zur antiliberalen Kritik an der deutschen Klassik im späteren 19. Jahrhundert. Von Dr. Konrad KIENESBERGER, OSB. Sonderdruck aus dem 108. Jahresbericht des öffentlichen Gymnasiums der Benediktiner IU Kremsmiinster, 1965, Verlag Weisermühl, Wels, 204 Seiten.

In der katholischen Publizistik im Österreich des 19. Jahrhunderts spielte der Priester Sebastian Brunner (1814 bis 1893) eine wichtige Rolle. Er kannte noch Persönlichkeiten des Wiener Romantikerkreises um Clemens Maria Hofbauer, gründete die „Wiener Kirchenzeitung“, die er von 1848 bis 1865 redigierte, und schrieb eine große Anzahl von historischen, homiletischen, apologetischen, literarhistorischen und schöngeistigen Werken, die heute vergessen sind. Brunner war ein temperamentvoller Streiter gegen Liberalismus und josephini- stische Strömungen und hatte, mit Humor und einem originellen Stil begabt, einen Hang zur Satire.

Über Brunner gibt es bereits eine Reihe von Spezialuntersuchungen, die ihre wertvolle Ergänzung im vorliegenden Buch finden. P. Kienesberger behandelt hier Brunners Kritik an den drei Heroen der deutschen Klassik. Das scheint ein sehr eingeengtes Thema zu sein, doch handelt es sich tatsächlich um einen interessanten Ausschnitt aus der deutschen und der österreichischen Geistesgeschichte. Der Verfasser schildert zuerst sehr anschaulich die politische und kulturelle Situation der Zeit, die Bestrebungen des Liberalismus in Österreich nach 1848, die Unterrichtsreform, die Entwicklung der Germanistik an der Wiener Universität und als Marksteine der Klassikerverehrung die Schiller- Säkularfeier, 1859, die Lessing-Feier, 1881, und die Gründung des Wiener Goethe-Vereins, 1878. Dies leitet zum eigentlichen Thema über. Brunners Kritik und Satire war nicht gegen die dichterische Leistung von Goethe, Schiller und Lessing gerichtet, die er voll anerkannte, sondern gegen den vom Liberalismus und Positivismus geförderten Kult mit seiner deutlich antikatholischen und überhaupt antichristlichen Tendenz.

Diese zeigte sich besonders klar in der Einschätzung Lessings. Die menschlichen Schwächen dieser Dichter wurden von den liberalen Literarhistorikern entweder verschwiegen oder sogar als Vorzüge hingestellt und gegen die christliche Ethik ausgespielt. Die politischen Absichten waren dabei nicht zu übersehen. Die preußische Kulturkampfpropaganda und die kirchenfeindlichen Kräfte mißbrauchten die Klassiker für ihre Zwecke und stellten deren Lebenshaltung und Geistigkeit der Wertordnung des Christentums entgegen. Prälat Brunner erkannte die Gefahr — ebenso wie in Deutschland der Protestant W. Menzel und der Jesuit A. Baumgartner — und führte aus seelsorglichen Gründen seine Polemik. In seinen zahlreichen Schriften über Goethe, Schiller und Lessing versuchte er mit scharfer Satire die verfälschende Glorifizierung der Biographen zu zerstören. Dabei ging er jedoch zuweit und brachte seine Kritik durch Einseitigkeit und Kleinlichkeit sowie durch die billige, oft nachlässige sprachliche Form in Mißkredit. Diese war dem Gegenstand nicht angemessen, und so wurde Brunner vielfach nicht ernst genommen. Seine Schriften bezeichnen eine längst überwundene Phase der katholischen Literaturkritik. Welch weiter Abstand zwischen ihnen und dem Goethe-Buch von Friedrich Muckermann!

P. Kienesberger hat sein Thema mit Gründlichkeit und klarer Systematik bearbeitet; er nennt die gesamte Sekundärliteratur, aus der Brunner geschöpft hat, gibt viele wichtige Hinweise auf Zusammenhänge und Quellen und wahrt stets die nötige kritische Distanz. Das Buch gibt weit mehr, als sein Titel verspricht. Es wird vor allem die Literarhistoriker interessieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung