TheVoiceAustralien - © Foto: APA / AFP / William West

Australien wählt: „Ein Ja als Zeichen des Respekts“

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Am 14. Oktober soll ein Verfassungsreferendum darüber entscheiden, ob Australiens Indigene künftig mehr politisches Mitspracherecht bekommen. Warum das Referendum scheitern könnte – und selbst einige „Aboriginal People“ mit „Nein“ stimmen wollen.

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Am 14. Oktober soll ein Verfassungsreferendum darüber entscheiden, ob Australiens Indigene künftig mehr politisches Mitspracherecht bekommen. Warum das Referendum scheitern könnte – und selbst einige „Aboriginal People“ mit „Nein“ stimmen wollen.

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„An diesem Tag wird jeder Australier die einmalige Chance haben, unser Land zu vereinen“, verkündet Australiens Premier Anthony Albanese, als er den 14. Oktober als Termin für das historische Referendum bekannt gibt. Die „indigene Stimme“ ist seit Beginn seiner Amtszeit vor über einem Jahr zu „einem meiner Herzensprojekte geworden“, ergänzt er. „Ja, zu stimmen, wird nicht alles über Nacht in Ordnung bringen. Aber es wird einen Unterschied machen.“

„The Voice“, wie sie in Australien genannt wird, soll ein Gremium Indigener sein, das das Parlament bei Themen berät, die die Ureinwohner betreffen. Auf diese Weise sollen die Lebensbedingungen der nach wie vor benachteiligten indigenen Bevölkerung verbessert werden.

Es wird das erste Mal seit mehr als zwei Jahrzehnten sein, dass das Land wieder ein Referendum abhält – und mehr als ein halbes Jahrhundert, dass es dabei um ein indigenes Thema geht. Zuletzt stimmten die Australier 1999 über die Gründung einer Republik ab. Diese Abstimmung scheiterte. Dafür war das letzte Referendum zu einer indigenen Angelegenheit erfolgreich: 1967 stimmte das australische Volk dafür, die indigene Bevölkerung bei Volkszählungen mitzuzählen. Damit wurden den Ureinwohnern erstmals Bürgerrechte eingeräumt.

Statistisch gesehen sieht es für „The Voice“ nicht sonderlich gut aus: „Seit der Föderation im Jahr 1901 haben die Australier nur acht von 44 Vorschlägen für eine Verfassungsänderung angenommen“, so Paul Kildea, ein Rechtsexperte für Referenden, der an der University of New South Wales lehrt. Ein Scheitern des neuen Referendums wäre nicht zuletzt für Australiens internationalen Ruf katastrophal. Laut Stewart Sutherland, indigener Professor an der Australian National University, würde ein Nein den Australiern „den Ruf unkultivierter und respektloser Menschen“ verleihen.

US-Firma pusht Gegenkampagne

Die Idee zur „Voice“ kam erstmals im Jahr 2017 auf. Damals trafen sich die Führerinnen und Führer der verschiedenen Völker der Aborigines sowie der Torres-Strait-Insulaner am berühmten Uluru im Zentrum Australiens. Das Ansuchen wurde auch Teil des „Statement from the Heart“. Doch um die „Stimme“ letztlich zu etablieren und den Indigenen gleichzeitig Anerkennung in der Verfassung zu geben, müssen die Mehrheit der Bevölkerung sowie eine Mehrheit in vier der sechs Bundesstaaten mit „Ja“ abstimmen.

Mit dem Projekt will Premierminister Albanese die nach wie vor große Kluft zwischen Indigenen und dem Rest der Bevölkerung verkleinern. Dies sei eine Reform, die jeder Australier annehmen könne, sagte der Politiker einst. „Weil sie Werte zum Ausdruck bringt, die wir alle teilen und respektieren – Fairness, Respekt, Anstand.“ Die „Stimme“ würde „über der Politik stehen“ und ein „einigender australischer Moment“ sein. Doch das Gegenteil ist der Fall: Über die vergangenen Monate hinweg entwickelte sich die Referendums-causa zu einem unerwarteten Zankapfel, der bereits an Albaneses Beliebtheitswerten in der Bevölkerung gekratzt hat.

Ein Grund ist, dass die Initiative gerade nicht „über der Politik“ steht und die konservative Opposition sich auf die Seite der „Nein“-Kampagne geschlagen hat – offiziell begründet man es damit, dass mit der Abstimmung die Nation „nach Rassen aufgespalten“ werde. Megan Davis, eine der indigenen Architektinnen der „Stimme“, glaubt dagegen, dass der Beweggrund der Konservativen ein anderer ist: „Zwietracht in der australischen Regierung stiften“. Davis mahnt die Menge an „Trumpsche Fehl- und Desinformation“ an, die bei den „Nein“-Kampagnen zum Einsatz käme. Ebenfalls zeigt sie sich über das Ausmaß an ausländischen Investionen überrascht, die darauf abzielten eine Ablehnung der „Stimme“ voranzutreiben. Laut Davis sind hier etwa Unternehmen involviert, die sich auf konservative christliche Kampagnen spezialisiert haben. Darunter soll eine in den USA ansässige Marketing- und Fundraising-Firma sein, wie die australische Ausgabe des „Guardian“ herausgefunden hat. Andere wiederum unterstützen die „Nein“-Kampagne, weil sie in dem Referendum demokratiegefährdende Elemente zu entdecken glauben.

Vertrag statt Volksentscheid?

Selbst im Lager der Aborigines hat sich eine Gruppe gebildet, die sich dagegen ausspricht. Sie vertritt die Meinung, dass die Reform „nicht genug“ sei und das Gremium rein symbolischen Charakter habe. Michael Anderson, ein Aboriginal-Führer, Anwalt und Menschenrechtskämpfer hätte lieber einen Vertrag zwischen den indigenen Völkern und der australischen Regierung durchgesetzt – ähnlich wie die Māori in Neuseeland dies im „Treaty of Waitangi“ getan haben. Vom australischen Volksentscheid hält er wenig. „Warum sollten wir Millionen von Weißen erlauben, über uns abzustimmen“, sagt er im Gespräch mit der FURCHE.

Wenn es schon eine Abstimmung gebe, dann solle diese rein unter der indigenen Bevölkerung – rund 800.000 Menschen in Australien – stattfinden. Auch die unabhängige indigene Senatorin Lidia Thorpe hält die „Stimme“ eher für eine „einfache Möglichkeit, den Fortschritt der Ureinwohner vorzutäuschen“, ohne tatsächliche Änderungen vorzunehmen. In einer Rede vor Journalisten bezeichnete sie die „Voice“ als „machtloses Beratungsgremium“ und als „Schaufensterdekoration“.

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