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Chancen für Labour

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Wenngleich die Ergebnisse der Meinungsumfragen nicht zu sehr betont werden sollen, dürfen sie nicht vernachlässigt werden. Das in Großbritannien übliche Wahlsystem fördert relativ leichten Mandatswechsel. Mehr als hundert Wahlkreise weisen nur eine minimale konservative Mehrheit auf. David Butler stellt deshalb in einem vielbeachteten Artikel über die kommende Wahl in der „Sunday Times“ fest, daß „schon eine kleine Verschiebung in der Einstellung zu den Parteien einen Erdrutsch“ zur Folge haben könnte. Aus seiner Zusammenstellung über Stimmenmehrheit und Mandatsverteilung ergibt sich folgendes Bild, sofern man den Vorteil berücksichtigt, den die Tories in den ländlichen Wahlkreisen haben, in denen weniger Stimmen für einen Unterhaussitz erforderlich sind als

immer wieder die Frage der atomaren Aufrüstung angeschnitten. Wendungen wie „statt Atomraketen mehr Wohnungen“ wiederholen sich in abgewandelter Form. Die Entwicklung der öffentlichen Meinungsumfragen haben diese Handlungsweise bisher gerechtfertigt.

Die Meinungsforscher sehen „rot“

Nach einem vorübergehenden Rückschlag liegen die Sozialisten merklich in Führung, wobei der Vorsprung in den letzten Wochen einen steigenden Trend aufwies. Der prozentmäßige Abstand der Stimmenteile schwankt zwischen neun und zwölf Prozent. Interessant ist die Feststellung eines Institutes, daß die zu erwartende Labourmehrheit in einer Wahl, die nach dem Juni abgehalten wird, lawinenhaft anschwillt; fast zwei Drittel der Befragten würden dann die Sozialisten wählen. Dennoch bewahrte sich der gegenwärtige Premierminister noch immer einen kleinen Popularitätsvorsprung.

Allgemein erwartet man in England einen Wahlsieg der Arbeiterpartei. Man begründet dies mit der Abneigung der Engländer gegen Parteien, die innerlich zerrissen sind. Die Preisbindung der zweiten Hand, Zentralafrika, Konjunkturpolitik, Erziehungsfragen sind nur ein schmaler Ausschnitt aus jenen

Gebieten, wo sich nicht einmal das Kabinett über die einzuschlagende Politik einig war. Dank der Vorarbeit Hugh Gaitskells kann Harold Wilson mit einer geschlossenen Mannschaft in die Wahlschlacht ziehen. Gewiß sind auch bei den Sozialisten unterschwellig Meinungsverschiedenheiten (zum Beispiel Europapolitik) vorhanden, allerdings ohne auch nur im entferntesten die Tiefe zu erreichen, wie sie bei den Tories als öffentliches Schauspiel zu beobachten ist. Vielleicht macht sich die Taktik Wilsons bezahlt, nicht ausschließlich an die Gefühle der Wähler zu appellieren. Möglicherweise lähmt das Bewußtsein eines gewissen Erfolges die Schlagkraft der Partei. Deshalb ermahnt der sozialistische „New Statesman“ die Partei, nicht selbstzufrieden zu sein.

Jedenfalls vertreten schon jetzt eine Reihe von Kommentatoren, daß Harold Wilson in Downing Street Nr. 10 anders handeln wird als er jetzt unbelastet redet. Denn in den weltpolitischen Auseinandersetzungen ist England schon lange zu einem „Nehmer“ der jeweiligen Lage geworden. Und auch in Wirtschaftsund sonstigen inneren Angelegenheiten ist der Manövrierraum einer Regierung, die einen großen Teil der Interessenverbände und Massenkommunikationsmittel nicht als Verbündete zur Verfügung hat, zu sehr eingeschränkt.

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