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Gott sah, daß es gut war
Wenn ein Arzt einen Patienten untersucht, und dieser schreit „au!”, dann ist dies kein Protest gegen den Arzt, sondern eine wichtige Information für diesen. Der Innsbrucker Moraltheologe Hans Rotter SJ hat recht, wenn er dieses Bild auf das Kirchenvolks-Begehren überträgt, dessen Anwälte sich dieser Tage wieder in Erinnerung gerufen haben: mit ihrem ersten „Herdenbrief”, der dem Themenkreis „Liebe, Eros, Sexualität” gewidmet ist. AVarum? Weil diese drei ein „un-aufgebbarer Teil unseres Menschseins” und ein Thema sind, „von dessen Faszination jedes Menschenleben erfüllt ist”.
Der „Herdenbrief” ist unter Mitwirkung vieler interessierter Christinnen und Christen des Landes zustandegekommen. Er will „kein Katechismus” und „keine unverrückbare Aussage” sein und sich so von einem Lehramt unterscheiden, das von der „Fiktion” einer Kirchenlehre ausgeht, die sich nie ändere. AA'as die Bibel zur Geschlechtlichkeit des Menschen sagt, worin sich ihr,sehr unbefangener Umgang damit von dem anderer antiker Geistesströmungen unterschied und was das kirchliche Lehramt im Lauf der Geschichte dazu an AVidersprüchlichem zu sagen wußte, wird in Krgänzungs-beiträgen sachlich dokumentiert.
Das entscheidende Merkmal des „Herdenbriefs”, der einmal aus der Sicht bisheriger „Lehrempfänger” den Hirten zu antworten versucht, ist aber nicht der AA'iderspruch; sondern die Sprache: bescheiden, unprovokant, ja liebevoll, argumentativ, nachdenklich stimmend und keineswegs zur Beliebigkeit verführend.
Der „Herdenbrief” greift voreheliche Sexualität, Empfängnisregelung, Scheidung und AViederver-heiratung, Homosexualität, Zölibat und Frauenweihe auf, die nicht von ungefähr ins Kirchenvolks-Be-gehren geraten sind, „weil sich gerade in diesem Bereich deutliche Bruchlinien innerhalb der Kirche zeigen” und die „Körpersprache der Kirche” (Thomas Plankensteiner) eine ganz andere als die Sprache der Bibel ist. Sie erzählt, daß Gott den Menschen als Mann und Frau, also als Geschlechtswesen, schuf und fand, daß dies nicht nur, wie die übrige Schöpfung, „gut”, sondern „sehr gut” war.
Bischof Johann AVeber fand, daß es „hier noch viel Diskussion braucht”, Weil es falsch sei, „das Faktische zur Norm zu erheben”. Ob der Herdenbrief das tut, bleibe dahingestellt. Er bedauert sehr wohl den „leichtfertigen Umgang” mit Sexualität. Aber Rotter hat recht: Sooft sich die Einsichten in das AVesen des Menschen und die sozialen Umstände ändern, „muß auch die Theologie und Ethik der Geschlechtlichkeit immer wieder neu geschrieben werden”.
Daß die Bischöfe darüber nun konkret reden wollen, ist zu begrüßen. Derzeit müssen sich manche katholischen Laienverbände fragen, ob sie nicht de facto Dialogverweigerung betreiben und damit den Septembergeis't von Mariazell verraten.
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