Der Poet mit dem Pinsel

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Von einem Tiroler Bauernbuben, der auszog, das Malen zu lernen, der ein kleines Leben lebte und als großer Künstler sehr vereinsamt starb, erzählt der schöne Bildband "Anton Tiefenthaler", der kürzlich im Haymon-Verlag in Innsbruck erschienen ist.

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Von einem Tiroler Bauernbuben, der auszog, das Malen zu lernen, der ein kleines Leben lebte und als großer Künstler sehr vereinsamt starb, erzählt der schöne Bildband "Anton Tiefenthaler", der kürzlich im Haymon-Verlag in Innsbruck erschienen ist.

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Das Malen hätte der 1929 geborene Anton Tiefenthaler eigentlich gar nicht erst lernen müssen, es steckte von Anbeginn in ihm. Im Kopf und Gemüt des kleinen Toni aus Mils bei Hall in Tirol, eines verträumten Buben, der früh die Stolpersteine des Schicksals kennenlernte. Eine karge Kindheit auf dem Lande, sieben Geschwister, ein schweigsamer Vater, der Bauer und Frächter war, der frühe Tod der Mutter, es hagelte Schicksalsschläge. Seine Kindersätze begannen zu stolpern, er wurde ein Stotterer und tat sich zeitlebens schwer, flüssig zu artikulieren.

Und bald kam noch ein Stolperstein daher: "Schwach begabt" sei der Kerl, befand Vinzenz Oberhammer, der mitunter gleichfalls stotternde Kustos des Tiroler Landesmuseums, als man ihm Tonis Zeichenmappe vorlegte. Aber nun gerade! Anton Tiefenthaler wird Gewerbeschüler für Dekorationsmalerei in Innsbruck, wenn auch der nächste Schlag in Form eines Bombenvolltreffers auf das Schulgebäude nicht auf sich warten läßt. Doch 1945 ist es soweit, er tritt in die Gewerbeschule ein.

Hier findet der schüchterne Bub im späteren Maler Wilfried Kirschl einen Freund fürs Leben. Gemeinsam mit dem Bildhauer Rudi Wach schrieb Kirschl auch die vorliegende Monographie. "Die Fachschule für Dekorationsmalerei wußte nicht recht, was sie sein sollte", schreibt Kirschl. "Die Lehrer Rehm und Zeiger taten so, als wüßten sie es und machten sie zu einer Vorstufe der Akademie", einem Vorgeschmack auf die Zeichenlehre bei Herbert Boeckl, dessen Abendakt Tiefenthaler und Kirschl am Schillerplatz in Wien anschließend besuchen.

"Die Kunst is a Weib, des miss'ns schoaf angehn, sunst bleim's ewig a Pantoflhöld" ist das geflügelte Wort des Kärntners, der mit Vorliebe Löcher in die Zeichnungen seiner Schüler radiert und sich dann mit dem Ausruf "fuachtbor" ohne einen weiteren Blick entfernt. Aber für die Arbeiten des Bauernburschen aus Tirol findet Boeckl tatsächlich Blicke der Anerkennung. Und das will etwas heißen, zeichnen immerhin Leute wie Hrdlicka, Absolon, Avramidis, um nur einige zu nennen, im selben Kurs mit.

Die Meisterklasse sitzt Tiefenthaler bei Sergius Pauser ab. Er verschmäht aber dessen Spezialität, durch einen "Pappendeckel-Sucher" das zu malende Motiv einzukreisen. Der junge Künstler ist, was das betrifft, eben völlig andersgläubig. Kein Wunder, wird es doch bald zum Charakteristikum seiner Landschaften, daß sie zwar in sich geschlossen, aber niemals als Ausschnitt erscheinen.

In dieser Zeit beschäftigt sich Tiefenthaler eingehend mit Cezanne, "verfehlt das Ziel und trifft das eigene". Er ist kein Analytiker. Er schaut und überträgt dann seine Empfindungen in Formen und Farbtöne, in Flecken und Tupfen. Dabei nähert er sich einem Lyrismus, der an Schubertmelodien erinnert. In seinem Domizil, einem klapprigen Jagdhaus im Wienerwald, in dem die Tapeten in langen Streifen von den Wänden herunterhängen, kratzt er dazu auf seiner Geige. "Während ich ihm zuhörte, bemerkte ich Bewegung an den Rändern der Tapeten", erinnert sich Kirschl. "Im Jagdhaus fehlte ein Kammerjäger."

Nach dem Studium kehrt Tiefenthaler 1953 nach Mils zurück, wo er daheim ist, in ein dämmriges Zimmer ohne Mallicht. Aber ihn zieht es ohnehin hinaus in die Natur. Sein Revier liegt zwischen Gnadenwald, Volders, Ampass und Hall. Hier geht er auf Motivpirsch. Er ist einer, der "mit dem Hintern im Gras" malt und zeichnet; ein geerdeter Wahrheitssucher sozusagen, der - vor allem zur Erntezeit - die Natur "aus der gebückten Haltung derer sieht, für die ein Acker ein Acker und kein Motiv ist". Seine Aquarelle - heute gesuchte Gustostückerln - kosteten damals 100 Schilling. Sie liegen vielleicht nicht ganz im Trend der Zeit, aber sie sind echt und wahr und von nicht anzuzweifelnder Qualität - Aug' in Auge mit der Landschaft entstanden.

Trotz vieler Malreisen mit Kirschl und anderen Kollegen nach Italien, Frankreich, Griechenland, Spanien, Marokko und so fort denkt der Tiroler keineswegs daran, aus seinem Heimatdorf wegzugehen. Nicht nur deshalb, weil er im Elternhaus gut aufgehoben ist und ihm hier die Landschaft ganz gehört. Es mag auch an den Bauernkindern liegen, die seine bevorzugten Modelle sind. Den Buben mit dem Feldblumenstrauß aquarelliert er mit flüchtigem, schwerelosem Pinsel in feinsten Farbvarianten und Abschattungen immer wieder, bis der widerborstige Strauß im Waschkrug in all seiner Struppigkeit mit dem Welken droht. Der zarten Poesie seiner Aquarelle - denen Tiefenthalers Hauptanliegen gilt - stehen Kompaktheit und Dichte seiner expressiven Ölbilder gegenüber.

In ihnen bricht alle Ungeduld des sonst so zurückhaltenden Menschen auf. Seine meisterlichen Zeichnungen wieder zeugen von einer ganz besonderen Licht- und Farbfühligkeit, die bewirkt, daß der Betrachter in den Schwärzen einer Tusche- oder Kohlestudie samtige Farbspiele wahrzunehmen glaubt.

Das bescheidene Leben Anton Tiefenthalers war das Leben eines Einzelgängers, der dauerhafte, verantwortungsvolle Beziehungen scheute. Frauen brachten nur Stolpersteine in seine Tage. "Unbehaust zu sein, war ein Teil seines Lebensgefühls" wobei es der Maler mochte, seine Abende bei befreundeten Familien zu verbringen. Trotz einer beachtlichen Reihe von Ausstellungen und etlichen Auftragsarbeiten zwang ihn sein überaus lässiger Umgang mit Geld immer wieder, seine besten Bilder zu verscherbeln oder für ein Mittagessen zu verschenken. Als letzter Besitz mußte ein von seiner Mutter geerbter Acker dran glauben. Es heißt, daß er von da an nicht mehr stotterte. Das Ende dieses Künstlerlebens voll verhaltener Stille und emotionaler Kraft kam früh. Schwer krank kam der Maler 1980 von einer Studienreise zurück. Mit grimmigem Humor erlebte er, wie die Preise seiner Bilder in den Galerien während seines langsamen Sterbens bis zu seinem Tod im Jahre 1982 kräftig anzogen. In Innsbruck wurde kürzlich im Rahmen der Buchpräsentation "Anton Tiefenthaler" eine vielbejubelte Ausstellung seiner Bilder eröffnet, bei der alles anzutreffen war, was Rang und Namen hat.

In traurigem Gegensatz dazu liest sich die Bestandsaufnahme von Tiefenthalers Nachlaß: Zwei Kästen und alte Kleidungsstücke, Skizzen, leere Mappen, Farben und Pinsel. Ein österreichisches Schicksal, das uns irgendwie bekannt vorkommt, diesmal auf tirolerisch. Was bleibt, sind diese einmaligen Bilder. Und das Buch.

Das Gewahrwerden der Dinge - Aquarelle, Zeichnungen, Gemälde. Herausgeber: Wilfried Kirschl, Rudi Wach. Haymon-Verlag, Innsbruck 1999. 232 Seiten, 160 Farbbilder, Ln., öS 640,- / e 45,51

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