Zwischen Verzweiflung und Hoffnung

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Zu Händels 250. Todestag zeigt das Theater an der Wien "Messiah" in einer szenischen Version von Claus Guth, Konrad Kuhn und Christian Schmidt.

Es muss nicht immer das Original sein, auch das Experiment kann seine Reize haben. Im Theater an der Wien wagt man es, präsentiert Händels Erfolgsoratorium "Messiah" nicht im konzertanten Original, sondern in einer bewusst aus der Gegenwart erdachten Deutung, ohne damit seinen religiösen Grundgehalt zu konterkarieren.

Drei Brüder sind es, deren Schicksal Regisseur Claus Guth auf die zu einem Labyrinth gestaltete Drehbühne des Hauses bringt. Die Themen kreisen um Selbstmord, Hochzeit, Geburt, Verzweiflung, Suchen nach Trost, Ehekrise, Schuld, Trauer. Womit die in sich verschachtelten Bühnenwände (Ausstattung: Christian Schmidt) ebenso zu einer Metapher dieser Deutung werden wie die am Beginn und zu Ende in den Mittelpunkt gerückte Trauergemeinde, die den Selbstmord weder zu fassen noch zu begreifen vermag. Zurück bleibt eine gleichermaßen mit dem Chaos kämpfende wie - in der Hoffnung auf Erlösung - die Hände nach oben richtende Gesellschaft.

Durchdachte Handlungsfäden

Man muss sich nur den Text dieses Oratoriums näher ansehen, um zu erkennen, wie durchdacht diese Handlungsfäden (Dramaturgie: Konrad Kuhn) sind. Weil damit auch die Grundidee von Händels zwischen Advent-, Weihnachts- und Passionsgeschichte und der Zukunft der Christenheit kreisendem "Messiah" beibehalten wird: das ständige Zusammenspiel von Solisten, die zu Einzelschicksalen geformt werden und ihre meist von Tragik umwobene Geschichte erzählen, und den stetig nach Sinn suchenden, choreografisch (Ramses Sigl) selbstverständlich in das Geschehen eingebundenen Choristen. Ob sie die Trauergemeinde bilden, unmittelbare Zeugen des unvermutet hereinbrechenden Themas Tod werden, mit disziplinierter Subtilität sitzend ihr "Hallelujah" singen, mit aller Kraft Hilfe auf ihrem Weg erbitten - die Mitglieder des fabelhaften Arnold Schoenberg Chores (Einstudierung: Erwin Ortner) erweisen sich als wahre Virtuosen, lassen bei ihrer gestischen Präsenz die Schwierigkeit ihres Parts glatt vergessen.

Ausdrucksvoll, unaussprechlich

Bejun Mehta, in der Rolle als einer der Brüder, steht mit seinem schlank und flexibel geführten Countertenor an der Spitze des mit den Sopranistinnen Susan Gritton und Cornelia Horak, dem Tenor Richard Croft und dem Bass Florian Boesch mehr als rollendeckend besetzten Solistenensembles. Kurzfristig gesellt sich der bemühte Knabensolist Martin Pöllmann hinzu. Paul Lorenger leiht seine ausdrucksvolle Tanzkunst dem Geist des Toten. Nadia Kichler öffnet mit ihrer Gebärdensprache den Blick ins Unaussprechliche, Transzendente.

Defizite im Orchestergraben

Nicht so vorzüglich geht es im Orchestergraben dieser engagierten Koproduktion mit der Opéra National de Lorraine, Nancy, zu. Jean-Christophe Spinosi, von manchen voreilig als neuer Star der "Alte Musik"-Szene apostrophiert (was er schon mit seiner eigenwilligen Deutung von Mozarts "Zauberflöte" im Theater an der Wien nicht rechtfertigen konnte), weiß auch mit Händel nicht zu überzeugen. Mit weit ausholender Gestik Dramatik zu suggerieren, ist zu wenig. Es bedarf zumindest einer differenzierten Tempodramaturgie, des Einfühlungsvermögens in die subjektive Persönlichkeit der Protagonisten, einer ungleich abwechslungsreicheren Artikulation und Phrasierung, als sie das ambitionierte Ensemble Matheus bot. Eine szenische Idee musikalisch zu unterstützen darf nie bedeuten, die eigene musikalische Handschrift hintanzustellen, sich vornehmlich auf die Koordination zwischen Bühne und Orchestergraben zu beschränken. Musiktheater ist entschieden mehr.

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