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Degasperi auf neuem Kurs

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Rom, im Jänner 1952

Unter dem Eindruck der näherrückenden italienischen Wahltermine — Gemeindewahlen stehen noch für dieses Jahr bevor, die politischen Wahlen werden erst für nächstes Jahr fällig, doch wird deren Vorverlegung auf kommenden Herbst angenommen — werden die Diskussionen um eine Wahlreform in Italien immer lebhafter. In vorderster Linie der Betrachtungen steht eine Reform der Senatswahl, die alle politischen Kreise, von den Liberalen bis zu den Sozialdemokraten, Nennianern und Kommunisten, beschäftigt.

Versuche von Wahlreformen sind in der letzten Zeit für die Regierungsparteien wenig glücklich verlaufen, wie zum Beispiel das Experiment, in einigen Senats- und Provinzial wählen eine Abart des englischen Majoritätswahlsystems anzuwenden. Hier schlug die äußerste Linke eine strenge Alternativtaktik ein, indem es Nenni-Sozialisten und Kommunisten vermieden, einander in einem Wahlkreis Konkurrenz zu machen und so Stimmen zu zersplittern. Eine solche Disziplin von den Parteien des Regierungsblocks spontan zu erwarten, ist eine fromme Illusion, und ob Verabredungen zum Erfolg führen, ist fraglich. Die Regierung wird sich daher hüten, eine Wahlrechtsreform in dieser Richtung vorzuschlagen, soferne nicht Sicherungen eingebaut werden können, etwa in Form einer Stichwahl, wenn in einem ersten Wahlgang kein Kandidat die absolute Mehrheit erzielen konnte.

Ebenso schlecht für die Regierungsparteien bewährte sich das System der Listenkopplung mit Prämie für die stärkste Partei, das bei den letzten Gemeindewahlen eingeführt wurde. Es ist dies ein kunstvolles, aber riskantes System, das einen Grad politischer Disziplin voraussetzt, dem sich die Regierungsparteien nicht gewachsen zeigten. In Wahlkreisen, in denen die Rechte oder die gemäßigte Linke dem Regie-

rungsblock Stimmen entzog, hatte die äußerste Linke den Vorteil und brachte zum Beispiel in Brindisi mit einem Drittel der gültigen Stimmen die Gemeindeverwaltung an sich. Auch dieses System schlägt man nun für die politischen Wahlen, vor allem die Senatswahl, vor, es ist jedoch sicher, daß es für die Kommunisten vor allem in Süditalien von Vorteil wäre, wo durchwegs rechtsextreme Gruppen dem Regierungsblock Stimmen davontragen.

Die Frage einer Wahlrechtsreform ist aber für die Democrazia Christiana nicht nur aus taktischen, sondern auch aus verfassungstechnischen Gründen dornig, da die Partei weder über die Mehrheit im Senat noch über die Zweidrittelmehrheit in der Kammer verfügt, die- für eine Abänderung von Verfassungsgesetzen erforderlich ist.

Die einzig mögliche Lösung scheint in einer Erweiterung der Rfegierungsbasis zu suchen zu sein; eine solche liegtseuch in der Linie der Wünsche des Regierungschefs, der in dem Wahlblock vom 18. April 1949 noch immer eine verlorengegangene Ideallösung erblickt und weder dem Gedanken einer Einparteienregierung noch einer Rechtsregierung freundlich gegenübersteht. Die Liberalen und Sozialdemokraten sind aber andererseits in ihren Entschlüssen nicht frei, sondern ah die Beschlüsse ihrer Parteitage gebunden.

Es ist anzunehmen, daß die italienische Regierung ihre Politik schon jetzt auf die kommenden Wahlen ausrichtet. Als erstes hat die Regierung die nationale Karte ausgespielt, und Kenner der italienischen Verhältnisse werden zugeben, daß gewisse Kreise der dortigen äußersten Linken dafür keine tauben Ohren besitzen, so daß sich die Parteien dieser Richtung sogar veranlaßt sahen, wiederholt selbst auf die gleiche Taste zu drücken. Die kommenden Wahlparolen dürften sich daher eher um die Alter-

native „Für oder gegen Italien' als um „Für oder gegen die Demokratie“ drehen.

Dieser neue Kurs der Regierung Degasperi zeichnet sich seit der Kabinettsumbildung im Sommer ab. Damals wurden Kritiken laut, das Kabinett sei, abgesehen vom Ausscheiden des Conte Sforza, fast unverändert geblieben. Pella — um den sich die Krise eigentlich drehte — sei nach wie vor im Kabinett, eine Erweiterung der Regierungsbasis sei weder nach links noch nach rechts, durch Einbeziehung der Sozialdemokraten beziehungsweise der Liberalen, erfolgt. Dagegen wurde von anderen die Ansicht vertreten, die Neuerung beziehe sich vor allem auf die programmatischen Grundsätze der Regierung — eine Meinung, die nunmehr recht zu behalten scheint.

Bei seiner Abreise nach den Vereinigten Staaten hatte sich Degasperi geäußert, er reise nicht als Haupt einer Partei, sondern als Vertreter ganz Italiens. Bei dieser Bemühung, den Sinn seiner Mission in wenige Worte zusammenzufassen, unterstrich er also deutlich die nationale

Note. Die gleiche Tendenz entnimmt man' Reden anderer Minister und überhaupt der ganzen Regierungspolitik des im Sommer gebildeten Kabinetts Degasperi. Damit wird die ganze Parteienpolitik der Regierungen auf neue Grundlagen gestellt. Früher sprach man von einem faschistischen oder einem demokratischen Italien irgendeiner Färbung und stellte damit eine Ideologie über den Begriff der Nation Įnunmehr spricht man von Italien schlechthin.

Es scheint, der Erfolg Degasperis in den Vereinigten Staaten habe den gemäßigt nationalen Kurs als neue Plattform für die Tätigkeit der italienischen Regierung gefestigt. In seinem Bericht vor der Kammer sagte der Regierungschef: „Ich bin stolz darauf, in meinen öffentlichen Reden, Debatten und Pressekonferenzen in Italien nie unsere Kommunisten beleidigt oder verdammt zu haben. Mit anderen Worten sollte das heißen: Polemiken zwischen Italienern werden in Italien gemacht, stellen wir das Gemeinsame hervor, die Nation über die Ideologie, seien wir vor allem Italiener, dann erst Parteigänger.

Der diskret angedeutete neue italienische Nationalismus hat jedenfalls mit einem übersteigerten Chauvinismus älterer oder jüngerer Prägung ebensowenig zu tun wie mit einem farblosen Internationalismus ideologischer Natur. Italien strebt nach einer unvoreingenommenen Neubewertung gerechter nationaler Werte, deren Berechtigung und Anerkennung den ehemaligen Feindstaaten nach 1945 schroff verweigert worden war, obwohl im Rahmen der Nordamerikanischen Union — um nur ein Beispiel zu sagen — auch der Mann aus Illinois oder Louisiana, aus New England oder Montana über ein gesundes Regionalbewußtsein verfügt. Und daß Italien auf diesem Wege in keine überholten Extreme verfallen wird, dafür bürgt sein entschiedenes Eintreten für die Werte der europäischen Einigung.

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