6754254-1967_40_04.jpg
Digital In Arbeit

Der Vergangenheit zugehörig

Werbung
Werbung
Werbung

1. Eine „christliche Demokratie“ hat es nie gegeben. Demokratie als Begriff und Herrschaftsform ist in der Polis der heidnischen Antike entstanden. Nach ihrem Untergang machten römische Kaiser das Christentum zur Staatsreligion des Imperium Romanum. Auch im Heiligen Römischen Reich und in ganz Mitteleuropa hat die enge Bindung der Kirche an den christlichen Monarchen trotz aller zeitweiligen Spannungen Gesellschaft und Politik bis zur Französischen Revolution wesentlich bestimmt. Der ihr folgende, schließlich von politischen Parteien geführte Kampf um die „Volksherrschaft“ war weitgehend auch gegen die Kirche gerichtet. Das bewirtete von Pius VI. (1791) an päpstliche Ablehnung und Kritik der Demokratie.

Nach der Etablierung des liberalen Verfassungsstaates bildeten sich auch katholische politische Parteien; in Österreich im direkten Zusammenhang mit dem Kulturkampf des LiberaMsmus. Die Konservative und auch noch die jüngere Christlich-soziale Partei betrachteten sich daher in erster Linie als Anwalt der kirchlichen Grundsätze und Interessen. Sie konnten dafür ihrerseits mit der aktiven Unterstützung der Kirche auch im Wahlkampf rechnen. Das schloß natürlich nicht aus, daß sich in den christlichen Parteien auch überzeugte Demokraten — Priester und Laien i— zusammenfanden, um demokratische Ziele, wie zum Beispiel das allgemeine Wahlrecht, zu erreichen. In diesem Sinn kann man daher auch von christlichen demokratischen Parteien sprechen. Die österreichische Christlichsoziale Partei, die sich jedoch schon in ihrem Programm von 1926 als „Volkspartei“ bezeichnete, hat sicherlich zu ihnen gehört Auch sie wurde aber 1934 von dem Christen Engelbert Dollfuß aufgelöst, der, aus ihren eigenen Reihen kommend, die Parteien liquidierte und unter ausdrücklicher Berufung auf eine päpstliche Enzyklika („Quadragesimo anno“) aus Österreich einen autoritären christlichen Ständestaat machen wollte.

Zehn Jahre später, zu Weihnachten 1944, hat Pius XII. den Wert der Demokratie, und zwar auch der pluralistischen Demokratie unserer Zeit, für die Sicherung der Freiheit

des einzelnen und des Gemeinwohls voll anerkannt.

Ich halte es daher heute erst recht nicht für zielführend, von einer „christlichen Demokratie“ zu sprechen. Demokratie ist für alle da. Sie muß die Menschenrechte des Gläubigen und des Ungläubigen schützen. Sie wird nur existieren, wenn sie

von beiden bejaht wird.

2. Auf Grund der unter 1. skizzierten historischen Entwicklung bin ich der Meinung, die der Generalsekretär der ÖVP, Dr. Withalm, kürzlich

ausgesprochen hat: „Es ist heute Sache aller Politiker, den Katholiken zu beweisen, daß die Politiker auf Grund ihres persönlichen Lebens, ihrer gesamten Politik und aller ihrer politischen Handlungen und Entscheidungen, der ihrer Politik zu Grunde liegenden Weltanschauung und dem sich daraus ergebenden Menschenbild für die Katholiken wählbar sind“ (Wiener Kiirchenzeitung, 4. Juni 1967). Politiker solcher Art könnten und müßten in allen echten demokratischen Parteien zu finden sein. Die besondere Betonung des Christentums im Namen einer Partei erscheint mir daher ebenso der Vergangenheit zugehörig wie der politische Katholizismus.

3. Die österreichische Volkspartei ist in dem Maß eine christlich-demokratische Partei, in dem sie von christlichen Demokraten getragen wird, die den unter 2. genannten Bedingungen entsprechen. PROF. ERIKA WEINZIERL Institut für kirchliche Zeitgeschichte, Salzburg

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung