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Hemmungslose Versprechungen

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In Bulgarien sind die ExKommunisten wieder an der Macht. Der Grund für ihr Wiederkommen ist offenbar die Unzufriedenheit der Bürger mit den schmerzlichen Opfern des Ubergangs zur Marktwirtschaft, die politische Instabilität und der sinkende Lebensstandard.

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In Bulgarien sind die ExKommunisten wieder an der Macht. Der Grund für ihr Wiederkommen ist offenbar die Unzufriedenheit der Bürger mit den schmerzlichen Opfern des Ubergangs zur Marktwirtschaft, die politische Instabilität und der sinkende Lebensstandard.

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Viele Bulgaren haben die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP), Nachfolgepartei der ehemaligen KP, gewählt, weil sie von ihren hemmungslos populistischen Versprechungen einer sozialen Stabilität, der Schaffung von 200.000 neuen Arbeitsplätzen und des Herausführens des Landes aus der wirtschaftlichen Misere beeindruckt waren.

Mit ihren jungen Führungskräften versucht diese Partei sich von ihrer kommunistischen Vergangenheit zu distanzieren. Trotzdem hat die BSP noch einige ehemalige Politbüromitglieder der ehemaligen KP in ihrer Abgeordnetengruppe.

Der Chef der rechtsgerichteten antikommunistischen Union der Demokratischen Kräfte (UDK), Filip Dimitrov, kommentierte, die bulgarische Nation sei nicht in der Lage zu begreifen, daß eine Regierung der Sozialisten den Stil der vorangegangenen 22 Monate vor der letzten Regierung (bis Oktober 1994, siehe FURCHE 46/1994) fortsetzen werde.

Allerdings hat in der Zeit der Regierung Ljuben Berovs die Sozialistische Partei de facto bereits die eigentliche Macht ausgeübt. Sie zog im Hintergrund die Fäden, ohne dabei Verantwortung für den Verfall des Landes übernehmen zu müssen. Dimitrov betonte auch, daß sein Bündnis UKD von vielen Bulgaren für alle negativen Entwicklungen der vergangenen fünf Jahre verantwortlich gemacht worden sei.

Merkwürdig bei den vorgezogenen Wahlen vom 18. Dezember des Vorjahres war die Tatsache, daß es neben der Bewegung für Rechte und

Freiheit (BRF) der türkischen Minderheit und der islamisierten Bulgaren noch zwei anderen Formationen gelungen ist, ins Parlament einzuziehen:

Es handelt sich um die im Oktober gegründete Volksunion (6,5 Prozent der Stimmen), einen Zusammenschluß der Demokratischen Partei von Stefan Savov, die sich zuvor von der UDK abgespalten hatte, mit der BZNS von Anastasia, einer der Bauernparteien, und um die Bulgarische Business-Partei (5,75 Prozent) von George Gantschev.

Erstere Gruppierung ist eine Art Protestpartei, zugleich aber spielen in ihr auch Angehörige der früheren Nomenklatura eine gewisse Bolle. Diese Unklarheit besteht auch bei George Gantschev, einem Ex-Basketballer, Säbelfechter und Showman. Für manche ist er nur Show-man ohne klare politische Linie, für viele andere sogar ein Gauner.

Mit 5,5 Prozent der Wählerstimmen konnte auch die Bewegung für Rechte und Freiheit wieder den Einzug ins Parlament schaffen. Sie wird aber dort keine Schlüsselrolle mehr spielen wie im früheren Parlament, als sie eine ausgleichende Kraft zwischen der BSP und UKD war. Ganz knapp unter der Hürde von vier Prozent zum Einzug ins Parlament ist die Demokratische Allianz für die Republik (DAR) geblieben. Diese Formation ist eine Partei der linken Mitte und an ihr nehmen Gruppierungen teil, die sich von der BSP oder der UDK abgespalten haben.

Vor der künftigen Regierung stehen gewaltige Aufgaben. BSP-Chef Jean Videnov kündigte gleich nach den Wahlen an, selbst im Fall einer absoluten Mehrheit eine breite Koalition mit allen parlamentarischen Kräften suchen zu wollen. Dazu wird es allerdings kaum kommen.

Mit Ausnahme des Bulgarischen Business-Blocks ist keine andere Partei bereit, auf die Koalitionsofferte der BSP einzugehen. Gantschev hat allerdings als Koalitions-Bedingung gefordert, daß die ehemaligen kommunistischen Führer Alexander Li-lov und Andrey Lukanov nicht ins Parlament einziehen sollen. Nach der bulgarischen Verfassung muß das Parlament innerhalb eines Monats zusammentreten. Die neue Regierung soll aber erst Anfang Februar gebildet werden.

Die neue Regierung muß nicht nur Wege aus der Wirtschaftskrise finden, sondern auch die wachsende Kriminalität und Korruption bekämpfen, die das demokratische System bedrohen. Die Inflationsrate für 1994 liegt bei 120 Prozent. Rund 740.000 Menschen sind arbeitslos -das sind mehr als 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung. Die Renten der über zwei Millionen Pensionisten liegen am Rande des Existenzminimums.

Die Lebensmittelpreise steigen in Bulgarien am stärksten. Nur 30 bis 40 Prozent der Produktionskapazitäten werden in der Genuß- und Nahrungsmittelindustrie genutzt. Die Bodenreform zieht sich immer noch hin und vorerst ist die landwirtschaftliche Produktion noch nicht geordnet worden.

Eine enorme wirtschaftliche Bürde wird die Begleichung der Schulden bei Privatbanken des Londoner Klubs: Heuer werden 780 Millionen Dollar, 1996 mehr als 900 Millionen und 1997 über 1.300 Millionen Dollar fällig.

In der Außenpolitik der neuen sozialistischen Regierung Bulgariens wird eine verstärkte Ausrichtung auf die traditionellen Märkte - in erster Linie Rußland und die Ukraine — erwartet. Ebenso ist mit einer aktiven Balkanpolitik, das heißt engere Beziehungen zu Griechenland und Serbien, zu rechnen.

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