Mossul - © Foto: Markus Schauta

Zukunft in Trümmern

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In Mossul, einer der vormals blühenden Städte des Irak, lassen sich die Spuren des Krieges nur mühsam beseitigen. Inzwischen versuchen die Menschen, das Gespenst des IS zu verscheuchen.

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In Mossul, einer der vormals blühenden Städte des Irak, lassen sich die Spuren des Krieges nur mühsam beseitigen. Inzwischen versuchen die Menschen, das Gespenst des IS zu verscheuchen.

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Es war im Juli 2014, als Abu Bakr Al-Baghdadi bei einer Freitagspredigt in der An-Nuri-Moschee das Kalifat ausrief. Drei Jahre später ist das Gebetshaus eine Ruine, die steinerne Kanzel zerstört. Die Mossul-Offensive startete im Oktober 2016. Es war eine der schwersten Schlachten in urbaner Umgebung seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Nach vier Monaten brachten irakische Streitkräfte den Ostteil der Stadt unter ihre Kontrolle. Die Jihadisten des Islamischen Staates zogen sich über den Tigris in den Westen Mossuls zurück. Die engen, verwinkelten Gassen der Altstadt waren ihre letzte Bastion. Nach neun Monaten Häuserkampf, Artilleriebeschuss und Bombardement durch die US-Luftwaffe liegen mehr als 31.000 Gebäude in Trümmern, die fünf Tigris-Brücken sind gesprengt, Straßen, Wasser- und Stromleitungen zerstört. Über eine Million Menschen flohen aus der Stadt. Tausende starben; zerdrückt unter einstürzenden Bauten, zerrissen von Explosionen, erschossen von Scharfschützen. Schätzungen zufolge haben zwischen 9000 und 11.000 Zivilisten ihr Leben verloren.

Im Altstadtviertel Myasa, westlich des Tigris, ist der Gestank der Leichen inzwischen verzogen. Nahe der ruinierten An-Nuri-Moschee verkaufen Händler Tomaten, Gurken und Kartoffeln. Im Metzgerladen – die Fassade von Kugeln durchlöchert – hängt Fleisch an Eisenhaken, vor einem Restaurant steigt Rauch von einem Grillofen auf. Langsam kehrt Leben in die Ruinen zurück. In den Gassen abseits der vom Schutt befreiten Straße ist das Scharren von Metall auf Stein zu hören. Dutzende Männer schaufeln geborstene Ziegel und Zementbrocken aus den Ruinen und schaffen sie mit Schubkarren weg. Raus auf die Schlammpiste, wo ein Bagger den Schutt auf LKWs kippt, die ihn auf einen ständig wachsenden Schuttplatz irgendwo außerhalb Mossuls karren.

Rationen der UNO

Die Männer und Frauen, die in den Ruinen anpacken, um Mossul wieder aufzubauen, erhalten vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) 20 US-Dollar am Tag. Für viele Familien das einzige Einkommen in der vom Krieg verwüsteten Stadt. Ist der Schutt einmal weggeschafft, werden jene Häuser, die nicht völlig zerstört sind, repariert. Auch dafür stellt UNDP Menschen aus Mossul an. 15.000 Häuser will die UN-Organisation auf diese Weise wieder bewohnbar machen. In rund 1000 Häuser konnten die Bewohner inzwischen zurückkehren. Aber das ist nur ein kleiner Teil der dringend notwendigen Aufbauarbeiten. 300.000 Menschen warten immer noch auf die Rückkehr in ihre Häuser. Brücken, Spitäler und Verwaltungsgebäude liegen nach wie vor in Trümmern. Eine durchgehende Strom- und Wasserversorgung gibt es nur in Teilen der Stadt.
„Nein, ich bin nicht zufrieden“, sagt Zuhair al-Araji, Bürgermeister von Mossul. Der Wiederaufbau gehe zu langsam voran. Al-Araji, ein rundlicher Mann in Hemd und Sakko, drückt einen Knopf an seinem Schreibtisch. Irgendwo läutet eine Glocke und kurz darauf erscheint ein Angestellter mit einem Tablett voll Teegläsern. Es gebe in Mossul eine Menge Probleme. „Die Hospitäler müssen dringend wieder aufbaut werden. Von fünf Brücken über den Tigris ist derzeit nur eine befahrbar.“ Aber es gebe nicht genug Geld.

Weder vom Premierminister in Bagdad noch von der regionalen Verwaltung der Provinz Ninive. Ein Grund, warum zu wenig Geld dort ankommt, wo es gebraucht wird, ist die im Irak weit verbreitete Korruption. Wir sprechen über das Fährunglück am Tigris. Im März ertranken fast hundert Menschen, als eine überfüllte Fähre im Hochwasser führenden Fluss kenterte. Die Glocke läutet ein zweites Mal. Al-Araji lässt den Erlass der Stadtverwaltung bringen, wonach alle Cafés und Fährstationen am Tigris wegen des Hochwassers geschlossen werden sollten. „Der Betreiber der Fähre hat unterschrieben“, so der Bürgermeister. „Hätte er sich an unsere Vorgaben gehalten, wäre das nicht passiert.“ Als Reaktion auf die Katastrophe und die darauf folgenden Proteste von Hinterbliebenen wurde der Gouverneur der Provinz abgesetzt. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn in den Monaten vor der Katastrophe wurde gegen den Gouverneur bereits wegen Korruption in Zusammenhang mit dem Wiederaufbau von Mossul ermittelt. Wir fragen, ob die Menschen von Mossul sich von der schiitisch geprägten Regierung in Bagdad vernachlässigt fühlten. Ob die Gefahr bestehe, dass der sunnitische IS wieder die Oberhand gewinnt. „Da besteht keine Gefahr“, so der Bürgermeister. In den drei Jahren, in denen die Jihadisten Mossul regierten, haben sie viele Verbrechen verübt. „Die Leute wollen jetzt nichts mehr mit ihnen zu tun haben.“ Die Gefahr sei eher, dass Jihadisten von außerhalb Mossuls in die Stadt einsickern. Aus der Provinz Anbar, wo Milizen des IS nach wie vor aktiv seien. Und aus Syrien. Nachdem die letzte Bastion der Jihadisten gefallen ist, kommen viele über die Grenze in den Irak, so der Bürgermeister.

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