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Henry Moore — Maße im Raum

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Der Überblick, den die Ausstellung in der Akademie der bildenden Künste über das Werk des Engländers Henry Moore gibt, der zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts zählt, ist trotz des Fehlens einiger entscheidender und wichtiger Werke — der liegenden Figur der Tate-Gallery (1938) etwa und der großen Holzfigur von 1945/46 — umfassend und von stärkster Eindringlichkeit. Moore, 1898 in Yorkshire als Kind einer Bergarbeiterfamilie geboren, beginnt mit primitivistischen Figuren, die anfangs den Einfluß Epsteins (dessen monumentalprimitiver Phase), dann aber bald den der aztekischen Plastik zeigen. Die daraus resultierende Stilisierung nimmt um 1928 Prinzipien des Kubismus auf und zeigt, vor allem in den in En-face-Ansicht geklappten Profilen, den Einfluß Picassos, dessen klassizistische Komponente auch in den mächtig hingedehnten liegenden Figuren Moores um diese Zeit sichtbar vird. Die multiplane Raumvorstellung des paniers, die eine neue Epoche der Per- pektive einleitet, führt Henry Moore zu einer kongruenten Auffassung in der Plastik, die seine entscheidende Rolle als Bildhauer begründet. Wie Picasso, der seit 1925 darnach strebt, auf der zweidimensionalen Fläche ein totales Äquivalent der räumlichen Erstreckung der Objekte in möglichst geschlossener Form zu geben, ist Henry Moore bemüht, den plastischen Körper in seiner räumlichen Form so zu gestalten, daß eine klare Achsenbildung zugunsten einer Folge von sich durchdringenden und überschneidenden Ansichten aufgehoben wird. In seinen besten Arbeiten wird damit die Skulptur zu einem raum-zeitlichen Kontinuum.

Es ist kein Zufall, daß im Werk Henry t .Mot r.es der .menschliche Körper im Zen- -., 0 ,(1 es (Werkes steht. Wie Picasso bezieht Henry Moore in seine Formungen assoziativ Bereiche der vegetabilen und amorphen Natur ein — die „Knochenfiguren“ Picassos von 1929 sind Vorformen einiger (zum Teil viel später entstandener) Moore-Plastiken. Die große „Stehende Figur“ von 1950 ist direkt den Blättern der „Anatomie“ von Picasso von 1933 verwandt. Der mythische Bezug der menschlichen Erscheinung zu scheinbar abliegenden Naturbereichen wird bloß deutet. Es ist auch kein Zufall, daß au einer Zeichnung von 1933 der Vermerl „Stonehenge“ auftaucht: dieser keltisch Kultplatz mit seinen Kultkreisen um Menhiren, sein magisch-mythischer Be reich, ist in einigen Plastiken Moores be wußt wieder zum Leben gerufen, etwa ii den drei „Aufrechten Motiven“ voi 1955/56. Seit 1955 scheinen bei Moore der sich immer wieder — und das mach seine eigentliche Größe aus — um da plastische Grundproblem der Entwicklun der Maße im Raum bemüht, mehrere Ten denzen parallel zu laufen. Auf der eine: Seite die Setzung von Zeichen für de: Freiraum, die Neuformung des Denkmale: des „Males“ schlechthin, auf der andere eine Beschäftigung mit der Antike, de Klassik, die zu Zitaten aus dem Britis! Museum führt, im Bestreben, zu eine lückenlosen organischen Formung de menschlichen Gestalt zu kommen, un außerdem der Versuch, in mächtig akzen tuierten Blöcken der Plastik das teilweis errungene raum-zeitliche Kontinuum z erhalten. Daneben wirkt das Verlanget die menschliche Gestalt, die Plastik, i Beziehung zur Architektur zu setzet einer Architektur und Wand, die dt Bildhauer manchmal selbst schafft un mit der er einen Kommentar über d: Verhältnis der beiden Künste abzugėbe scheint.

Moores große Gefahr, der er sich ar scheinend bewußt wird, ist ein latent Ästhetizismus und die Überschreitung d Maßes zugunsten subjektiver mythisch Interpretation. Die für unsere Zeit zu e: wartende Synthese ist bei ihm erst zui Teil verwirklicht. Für einen Bildhauer i Moore aber noch im jugendlichen Alte und er kann bereits auf ein revoluti näres Oeuvre, zu dessen entscheidendste Entdeckungen die Dramatisierung di Hohlraumes, .der Negativform als plast sehe Gestalt, zählt, zurückblicken. Di formenden Kraft seiner Werke, dene seine Zeichnungen eine wertvolle Ergäi zung liefern, kann man sich kaum en ziehen. Wenn auch noch mancher Wunsc offenbleiben mag, zeigt sich Henry Moo: in dieser hervorragenden Ausstellun deren Arrangement Prof. Jörg Lampe 2 danken ist, als eine dominierende küns lerische Persönlichkeit unserer Zeit.

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