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Aaron Ekwu, „Vater der Armen”

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Die Verehrung „aller Heiligen”, wie sie das kirchliche Fest am 1. November vorsieht, ist bisweilen schwierig. Besonders dann, wenn heiligmäßige Menschen in ihrem Leben enge Horizonte aufbrechen.

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Die Verehrung „aller Heiligen”, wie sie das kirchliche Fest am 1. November vorsieht, ist bisweilen schwierig. Besonders dann, wenn heiligmäßige Menschen in ihrem Leben enge Horizonte aufbrechen.

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Als der nigerianische Priester Aaron Ekwu, in seiner Heimat „Vater der Armen” genannt, am Karfreitag 1989 nach acht Stunden Beichthören mit seinem Auto tödlich verunglückte, markierte dieser Unfall das Ende eines lebenslangen Versuchs, verschiedenste Welten miteinander zu verbinden: Das Dorf Owerre-Ezukala in Nigeria und Wien, die enge Geborgenheit des Familienclans und die Weite der katholischen Kirche, tiefe Spiritualität und praktisches Engagement für die Armen.

In Osterreich und Nigeria hat Aaron Ekwu seinen Traum von einer dienenden Kirche in die Tat umzusetzen versucht: Zunächst in Wien, wo er nach seiner Priesterweihe 1965 durch Kardinal Franz König fünf Jahre lang als Kaplan in St. Johann Evangelist im zehnten Wiener Gemeindebezirk tätig war und nebenher sein Doktoratsstudium absolvierte; dabei engagierte er sich in den geistlichen Aufbruchsbewegungen Cursillo, Marriage Encounter und Focolare. Dann als Seelsorger in Nigeria, wo er sich unter Einsatz aller Kräfte für die Armen eintrat und gleichzeitig als Professor für Dogmatik Priester und Katecheten der neugegründeten Diözese Awka ausbildete. Für die Menschen seiner Heimat war er Seelsorger, Lehrer, Arzt, Ratgeber und Schiedsrichter in einer Person. Für seine Wiener Freunde war er vor allem ein charismatischer Botschafter Nigerias, der durch seine große Fröhlichkeit und Offenheit die Kluft zwischen europäischer und afrikanischer Mentalität überwand.

Noch heute schwärmen die Freunde Aaron Ekwus nur in Superlativen von ihm, so daß den außenstehenden Betrachtern bei soviel Heiligkeit Schwindelgefühle ergreifen: Spektakuläre Erfolge bei der Afrikamission, unglaubliche Popularität, „eine ganz große Persönlichkeit mit einem sehr klaren Blick für Realitäten” ... - die Anhäufung derartiger lobeshymnen ließe sich beliebig fortsetzen. Ein Blick hinter die Kulissen, auf die wirkliche Person dieses „supergescheiten Mensch mit dem irr' großen Herzen” fällt schwer. Wer war Aaron Ekwu wirklich?

Nicht an vorgegebene Grenzen gehalten

Sicherlich war er jemand, der sich nicht an vorgeschriebene Bahnen hielt. An enge Grenzen stieß er zum ersten Mal, als er den Wunsch äußerte, Priester zu werden. Denn der Clan - die Institution in Nigeria, die über das Schicksal jedes einzelnen entscheidet, hatte dem ältesten Sohn der achtköpfigen Familie Ekwu gemäß afrikanischer Sitte die Rolle des Hauptverantwortlichen der Familie zugedacht - eine Rolle, die er als Priester nicht erfüllen konnte. „Das Dorf war dagegen, daß Aaron ins Priesterseminar geht”, erinnert sich Christiana Eze, seine Schwester, die heute in Wien lebt. „Niemand wollte Aaron das bezahlen. Sie haben meinem Vater vorgeworfen, daß er Aaron verworfen hat, daß er sein Kind weggeben wollte! Für sie war das unbegreiflich. Papa hat sein ganzes Leben unter diesen Unterstellungen gelitten.

Sie wollten ihn umbringen, weil er nicht so war wie sie.”

Irgendwann kühlten die erhitzten Gemüter wieder ab. Aber das Problem des stark ausgeprägten afrikanischen Clan-Denkens sollte Aaron sein ganzes Leben lang nicht mehr loslassen, denn seine Vorstellung von der Kirche als der großen „Familie Gottes” vertrug sich nicht mit dem engen Horizont des Clans, der von ihm materielle Zuwendungen aus dem reichen Österreich erhoffte. Aus dieser Einstellung erwuchsen Konflikte, die Peter Okeke, ehemaliger Praktikant von Aaron Ekwu in Nigeria und heute Pfarrer im burgenländischen Jois, bis heute am eigenen Leib erfährt: „Bei uns gibt es ein Sprichwort: ,Cha-rity begins at home (Nächstenliebe beginnt zu Hause)'. Ich glaube, Aaron hat unter dieser Einstellung ein wenig gelitten, denn er hatte einen größeren Horizont als die Familie. Er hat versucht, für alle dazusein. Er hat jedem geholfen, er hat nicht nur seinen Clan unterstützt! Das hat seinem Clan natürlich nicht immer gefallen ”.

Okeke schildert seinen Freund vor allem als „Mann des Gebets”, das die Quelle seiner „Menschenfreundlichkeit und Offenheit” gewesen sei. „Wenn ich mich jetzt an ihn erinnere, denke ich vor allem an sein Lächeln, seine positive Einstellung zum Leben. Jeder Mensch war ihm wichtig, egal ob groß oder klein, Mann oder Frau. Er hat mich mit seiner Spiritualität sehr geprägt.” Viele kleine Anbetungskapellen, die unter Aaron Ekwu in der nigerianischen Diözese Awka errichtet wurden, zeugen heute noch von der Bedeutung des Gebets in seinem Leben.

Die Welt in kleinen Schritten verändern

Aaron Ekwu ist allerdings für Okeke nicht nur ein Vorbild im Gebet, sondern auch ein „politischer Mensch, insofern als er Unrecht beim Namen genannt hat. Er hat die Menschen aufgefordert, sich für Politik zu interessieren, damit sie etwas bewegen können. Er selbst hat sich die politische Situation in Nigeria sehr zu Herzen genommen, denn man hat ja gemerkt, daß die Armut gewachsen ist: Seine Hilfe war da irgendwie bloß ein Tropfen auf einem heißen Eisen, sie hat nicht soviel bewirkt. Das hat ihn zum Nachdenken gebracht.”

In Aaron Ekwus Österreichaufenthalt fiel der Biafra-Konflikt. Der Bürgerkrieg im Osten Nigerias bewegte damals auch Österreichs Öffentlichkeit. Sicher war Aaron kein politischer Revolutionär, auch wenn er in Wien öffentlich für die blutig niedergeschlagene Unabhängigkeitsbewegung Ost-Nigerias Partei ergriff. Er wurde eher von der Haltung geprägt, die das afrikanische Sprichwort ausdrückt: „Viele kleine Menschen, die in vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.”

Vielleicht bewahrte ihn letztlich diese Haltung vor Konflikten mit der Regierung, die seine Arbeit zumindest nicht behinderte. Ob die katholische Kirche Nigerias seinen Weg des absoluten Einsatzes für die Armen mitging und fortsetzte - darüber gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Unumstrittene Tatsache ist aber Aaron Ekwus absolute Loyalität zur Amtskirche. Die Einteilung in „progressive” und „konservative” Lager interessierte ihn nicht. Was zählte, war allein der Einsatz für die Armen: „Als Aaron 1970 wieder nach Nigeria zurückgekommen ist, haben alle ge-gelaubt: Der Retter ist da. Aaron hat nur gearbeitet und gearbeitet, er hatte keine Zeit zum Lesen, zum Ausrasten. Wenn man gesagt hat: ,Father, iß!' hat er gelacht und gesagt: ,Man muß früh aufstehen, im Himmel kann man immer noch rasten.' Die Armen strömten zu ihm”, erzählt seine Schwester Christiana mit viel Pathos.

Auch wenn man manche Legende, die sich um ihn rankt, abzieht: Aaron Ekwu war ein Seelsorger, der jedem half, der zu ihm kam. Er verteilte Geld an die, die es am dringendsten.brauch-ten, er sorgte für die nötigste medizinische Hilfe, er tröstete, hörte zu und segnete - eine für ihn typische Geste, die immer auch Angehörige der traditionellen Ibo-Religion und Christen aller Konfessionen miteinschloß, letztlich ist er auch bei „seinen pa-storalen Aufgaben gestorben”, wie es Freund Okeke ausdrückt. Die Reifen seines Autos waren schon längst reparaturbedürftig. Doch Aaron Ekwu hatte das Geld aus Österreich, das eigens für diesen Zweck gespendet worden war, für das Schulgeld „seiner” Kinder ausgegeben.

Aaron Ekwus Tod markiert das Ende einer fast perfekten Heiligenvita, deren Held geradezu prädestiniert scheint, zumindest im Andenken seiner Freunde zur „Ehre der Altäre” erhoben zu werden. Für den Außenstehenden bleiben viele Fragen: Geriet der Grenzgänger Aaron Ekwu wirklich niemals zwischen die Fronten? Wie verband er selbstverständliche Treue zur Amtskirche mit ökumenischer Radikalität? Woher nahm er die Kraft für einen Totaleinsatz, der jede moderne Rede von „Selbstverwirklichung” ad absurdum führt?

Vielleicht bestand eines der Geheimnisse seiner Persönlichkeit in der Kraft, den Drahtseilakt zwischen verschiedensten Welten zu wagen: Zwischen wissenschaftlicher Lehre (als Professor für Dogmatik) und praktischem Handeln (auch durch das „Mitnehmen” der geistlichen Aufbruchsbewegungen, die er in Österreich kennengelernt hatte, nach Nigeria), zwischen Gebet und Politik, zwischen Afrika und Europa.

Seine Freunde schaffen diesen Drahtseilakt heute nicht mehr. Die Frage, wie das Werk Aaron Ekwus in seinem Sinne fortzusetzen sei, spaltet den Kreis der Kollegen und Freunde. Zwischen österreichischer und nigerianischer Mentalität, die durch Aaron Ekwus Einsatz überbrückbar schien, klafft wieder ein Abgrund. Die Österreicher klagen über mangelnde Professionalität und zuwenig Engagement bei der Durchführung von sozialen Projekten in Nigeria. Die nigerianische Seite wehrt sich wiederum gegen österreichische Bevormundung: „Die Europäer macher immer wieder einen Fehler”, sagt Peter Okeke. „Sie sind nicht bereit, auch uns einmal sagen zu lassen, was für uns gut ist. Vielleicht sollte man unserem Bischof in Awka die Gelegenheit geben, zu entscheiden, in welche Richtung wir das Werk von Aaron weiterführen können”.

Große Uneinigkeit um das Erbe

Der Streit tobt allerdings nicht nur zwischen Nigeria und Österreich. Auch hierzulande werden Epigonenkämpfe um Aaron Ekwus Erbe ausgetragen: Fanatisches Sendungsbewußtsein, familiäre Konflikte und ideologische Auseinandersetzungen haben ein unentwirrbares Dickicht von widersprüchlichen Informationen geschaffen, in dem jeder allein für sich beansprucht, „in Aarons Sinne” zu handeln. Aaron Ekwu selbst hatte zwar noch während seiner Wiener Zeit eine bis heute bestehende Entwicklungshilfeorganisation, die „Hifa Austria”, gegründet. Doch bei ihrer Erwähnung stößt man bei einigen Freunden Aarons als auch bei kirchlichen Entwicklungshilfeorganisationen wie der „Missio Austria” auf seltsames Mißtrauen, obwohl „Hifa”-Mitbegründer und ihr heutiger Leiter, Adolf Paster, immer noch von Aaron Ekwus Nimbus zehrt.

Aaron Ekwus Leben als Wanderschaft zwischen den Welten ist offensichtlich eine Überforderung für die Zurückbleibenden, die es im Gegensatz zu ihm nicht schaffen, enge Horizonte aufzubrechen und Gräben zu schließen. Vorläufig bleibt nur die Erinnerung an sein Lachen auf vergilbten Photos - das Lachen eines Mannes, von dem seine Schwester sagt: „Aaron war eher so wie Jesus, kein Mensch fürs ,business'. Er wollte keine Nationen gründen, er hatte kein politisches Programm. Aber wenn jemand zu ihm kam und Hilfe brauchte, da hat er geholfen.”

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