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Aber die Christen müssen deshalb nicht schweigen

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Den Österreichern steht heuer ein Jahr mit vielen Wahlen ins Haus. In einzelnen Bundesländern gibt es bis zu acht verschiedene Wahlen. Im Vordergrund des Interesses stehen dabei natürlich die Wahlauseinandersetzungen für die gesetzgebenden Körperschaften, aber auch die Bedeutung der Wahlen in die einzelnen Interessenvertretungen darf nicht übersehen werden.

Es liegt in der Natur der Sache, daß während der Zeit der Wahlauseinandersetzung manchmal auch härter Kritik am politischen Gegner geübt wird: In Wahlzeiten zeigt sich die politische Gegnerschaft deutlicher als sonst. Müssen aber nun deswegen Christen oder die Kirche in Vorwahlzeiten zu allen politischen, gesellschaftspolitischen und weltanschaulichen Fragen schweigen, nur um nicht in den Verdacht zu kommen, ihre Stimme für eine bestimmte politische Partei zu erheben?

Ein Beitrag der Christen und der Kirche für eine faire Wahlauseinandersetzung kann sicherlich nicht im Eingreifen in die konkrete Wahlwerbung bestehen, sondern in der Festlegung der geistigen Grundlagen für eine faire, objektive und demokratische Wahlauseinandersetzung. Wahlen sind kein Bürgerkrieg, wohl aber eine Bürgerpflicht. Wählen heißt für den mündigen Bürger nicht nur, eine

Stimme abzugeben, sondern auch nachzudenken und zu entscheiden.

Entsprechend dem Selbstverständnis der Katholischen Aktion (KA) als parteipolitisch unabhängige Institution wird die KA auch diesmal anläßlich der bevorstehenden Wahlen für ihre rund 500.000 Mitglieder keine Wahlempfehlung abgeben. Aber die Katholische Aktion wird es sich nicht nehmen lassen, wenn sie es für notwendig hält, Politiker und Parteien zu fragen, wie sie sich zu einzelnen politischen und gesellschaftspolitischen Fragen in der Praxis stellen. Politik muß nämlich Dienst am Menschen sein, nicht nur Kampf um die Mehrheit, wie der Politikwissenschaftler Univ.-Prof. Heinrich Schneider erst kürzlich sagte.

Wir Christen werden die Parteien daran messen müssen, was sie für die Familien und für die Kinder tun. Wir werden die Parteien daran zu messen haben, was sie für die Behinderten, für die Benachteiligten, für unsere älteren Mitmenschen und für das ungeborene Leben nicht nur versprechen, sondern auch wirklich tun.

Wir Christen werden die Politiker zu fragen haben, wie groß der Freiheitsraum des einzelnen für seine individuelle und kreative Entfaltung in ihrer Partei ist. Wir werden aber unsere Entscheidung auch danach zu treffen haben, welche Partei die gemeinsamen Grundwerte unseres

Staatsgefüges durch ihre Politik besser abstützt.

Unbeschadet ihrer parteipolitischen Zugehörigkeit und unbeschadet ihrer Sympathie für eine Partei können und sollen dann auch die Christen und die Kirche ihren Beitrag zur Vermenschlichung der Wahlauseinandersetzung leisten, der immer von der Überlegung ausgehen muß, daß es zwar politische Gegner, aber keine politischen Feinde geben darf.

So gesehen, haben die Christen im Rahmen der Wahlauseinandersetzung folgende Pflicht: Christen weisen alle Versuche, politisch Andersdenkende zu diffamieren, entschieden zurück. Christen sind bereit, das Wahre und Gute auch am politischen Gegner anzuerkennen. Christen üben zwar Kritik, bemühen sich aber um Objektivität. Christen lassen sich nicht von Vorurteilen leiten. Christen halten persönliche Beziehungen zum politisch Andersdenkenden in den Zeiten vor und nach den Wahlen aufrecht. Christen bemühen sich um unbedingte Wahrhaftigkeit. Christen wählen und geben nicht nur ihre Stimme ab. Christen sind bei der Wahl nur in ihrem informierten Gewissen verantwortlich.

(Dieser Beitrag erscheint auch in „Interesse“, einem Publikationsorgan des Sozialreferates der Diözese Linz.)

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