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Das Festival

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In Israel feiert man den Geburtstag des großen, alten Löwen Ben Gurion. Freund und Feind vereinen sich zu Lobeshymnen und das große Festival kann beginnen. Wieder zeigte es sich, daß auch heute noch der Geist oder wenigstens der Name Ben Gurions den Judenstaat beherrscht. Denn die Regierenden waren plötzlich alle stolz, von sich sagen zu können, daß sie im Geiste Ben Gurions das Volk führen. Der große Alte aber war davon ganz und gar nicht überzeugt. In seiner Dankesrede auf die unzähligen Gratulationen auf der Konferenz der Arbeiterpartei, die zu Ehren seines 85. Geburtstages abgehalten wurde, hob er die Namen der seiner Meinung nach „wahren“ Staatsgründer hervor. Es handelte sich hierbei in der Mehrheit um fast unbekannte Pioniere, die um die Jahrhundertwende im damaligen Palästina lebten. Die Führer der Arbeiterpartei und der zionistischen Weltorganisation wurden dabei mit keinem Wort erwähnt. Die persönliche Bitte Goldą Meirs, daß Ben Gurion in die seinerzeit von ihm gegründete Arbeiterpartei zurückkehren möge, lehnte er ab: „Heute ist es meine Aufgabe, Geschichte zu schreiben, damit die

Jugend weiß, was ihre Vätergeneration leistete.“

Die Zähne des alten Löwen sind stumpf geworden. Was geblieben ist, das ist seine beißende Feder. Mit ihr schreibt er die Entstehungsgeschichte des Staates Israel so, wie er sie heute sieht.

David Ben Gurion vertritt die Ansicht, daß Israel zwecks Erreichung eines dauerhaften Friedens die besetzten Gebiete, Jerusalem und die Golan-Höhen ausgenommen, aufgeben sollte. Seine politische Konzeption steht in krassem Gegensatz zum offiziellen Standpunkt der jetzigen Regierung.

Im Jahre 1963 verließ er zähneknirschend die Regierung, nachdem er zu seinem Nachfolger Levi Esh- kol bestimmt hatte. Es kam damals zum endgültigen Bruch mit seinen früheren Kampfgenossen dadurch, daß Ben Gurion gegen die Ansicht der Mehrheit, einen ehemaligen Minister in einer Geheimdienstaffäre für schuldig befand.

Doch nun, im hohen Alter, gelang ihm die Aussöhnung mit den früheren Kampfgenossen. Goldą Meir, die damals an der Spitze des Aufstands gegen ihn stand, küßte und umarmte ihn.

Trotz allem ist David Ben Gurion der bedeutendste Staatsmann des neuen Israel. Er war fähig, unpopuläre Entschlüsse zu fassen und für deren Durchführung zu sorgen. Trotz seines aufbrausenden Temperaments in den Parlamentsdebatten und seiner hitzigen Ausfälle gegen Gegner waren seine politischen Schachzüge immer genau ausgeklügelt.

Am 15. Mai 1948 hatte er den Mut, trotz des Widerstands der Westmächte den jüdischen Staat zu proklamieren. Im selben Jahr holte er seine siegreichen Truppen aus dem Sinaigebiet zurück, um eine Konfrontation mit England zu vermeiden. Neun Jahre später war er es, der, gegen den Willen der Mehrheit des Volkes, die damals von Israel besetzte Sinaihalbinsel räumen ließ.

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