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Hotel oder Palmenhaus ?

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Am 1. Juli - so kann man mit wahrhaft ehrfürchtigem Staunen in vielen Zeitungen und Zeitschriften lesen — werden über der Skyline von Wien fünf neue Sterne aufgehen. „Entdecken Sie”, heißt es wörtlich, „die gelungene Symbiose aus repräsentativer Wiener Eleganz und dem Luxus-Standard eines internationalen Spitzenhotels”, und schließlich: „Marriott setzt neue Maßstäbe!” Ein so starkes, beinahe beängstigendes Selbstbewußtsein wirkt herausfordernd. Wie steht es mit den „neuen Maßstäben”?

Die Wiener Ringstraße, eine großartige Perlenkette von Bauwerken, die den historischen Kern der Stadt umschließt, wurde seit Kriegsende nicht gerade liebevoll behandelt. Hier, auf den Gartenbaugründen, einem außerordentlich interessanten Abschnitt der Ringstraße, steht nun das Marri-ott-Hotel. Es setzt in der Tat neue Maßstäbe, und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Neue Maßstäbe müssen freilich nicht unbedingt erfreulich sein. Gemeint ist ein anzustrebendes Gleichgewicht zwischen materiellen und geistigen Elementen als Voraussetzung für Qualität von Architektur. Einige Beispiele zum Fall Marriott:

• Neue Maßstäbe schon bei der Projektfindung. Geladener Wettbewerb, Jury und Ergebnis unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Beauftragung von zwei Architekten. Erstellung eines gemeinsamen Projektes unter Beiziehung zahlloser Experten, darunter auch Architekturhistoriker. Kompromisse, Pressekonferenz. Absicherung nach allen Seiten. Daß eine Addition von Geist keine Summierung ergibt, sondern Mittelmaß, ist bekannt und augenscheinlich. Neue Maßstäbe durch totale Ausnützung des Grundstückes bis in die letzten Dachwinkel. Auf der Strecke bleibt allerdings Rücksichtnahme auf städtebauliche Gegebenheiten. Sowohl Adolf Loos als auch Otto Wagner haben für die Gartenbaugründe bereits Bebauungsvorschläge ausgearbeitet, die sehr deutlich zeigen, was Rücksichtnahme bedeutet.

# NeueMaßstäbedurcheinehin-sichtlich Inhalt und Form vollkommen getrennte Formgebung. Alle zur Zeit gängigen Formelemente der „post-modernen Architektur” wurden — zugegebenermaßen gekonnt - miteinander kombiniert.

# Neue Maßstäbe durch Berücksichtigung des voraussichtlichen Besuchergeschmackes. Kein Zweifel, jene Gäste, die sich den Luxusstandard eines Spitzenhotels leisten können, werden hell begeistert sein, wenn man auch nicht sofort erkennt, was dieses Gebäude eigentlich beherbergt. Einen Superbahnhof? Ein Konzerthaus? Ein Palmenhaus? Eine Oper? Eine Blumenhalle? Das alles könnte es sein, und das ist doch traumhaft schön!

# Natürlich neue Maßstäbe hinsichtlich der Servicedienste auf allen Gebieten. Jede Form elektronisch perfekter Bedienung, Informationsmöglichkeit, technischer Luxus.

• Schließlich - und das ist wirklich positiv gemeint - neue Maßstäbe in Durchführung der Planung, Ausschreibung und Bau-durchf ührung. Mit einer geradezu unheimlichen Präzision wurde dieses Hotel aus dem Boden gezaubert. Imponierend die Bauabwicklung auf diesem engen Raum, imponierend die Termin- und ganz sicher auch die Preistreue. Wie sehr dieser „neue Maßstab” geschätzt wird, werden alle jene ermessen können, die das Baugeschehen bei anderen Großbauten in Wien, beispielsweise beim AKH, mitverfolgen.

Es sei ein antiquierter Standpunkt, meint einer der Planer des Bauwerks, Harry Glück, Architektur heute immer noch nach ästhetischen Kriterien zu beurteilen, und die Architekten, die an dieser überholten Meinung festhielten, würden sehr bald scheitern. Es kann natürlich kein Zweifel daran bestehen, daß sich hier Harry Glück irrt. Dafür gibt es genug Beispiele.

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