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Kunstrevolution mit Rauferei

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„Performance-Art“ in Wien spielt sich etwa so ab: Die Jung-filmerin Valie Export bewegt sich, durch Bleibänder eingeschnürt und beengt, mühsam auf einem rutschigen, dreckigen Boden durch den Raum. Sie verrenkt sich, bäumt sich auf, fällt zurück, richtet sich wieder auf. Sinn der Aktion und deren vordergründige Symbolik: Die „eingeengte Situation“ der Künstlerin im herrschenden Kunstbetrieb. Sind wir in einem neuen Expressionismus, einer Kunst der aufgesetzten, vordergründigen Symbolsprache, oder spielt sich hier gänzlich Neues ab? Nichts davon stimmt.

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„Performance-Art“ in Wien spielt sich etwa so ab: Die Jung-filmerin Valie Export bewegt sich, durch Bleibänder eingeschnürt und beengt, mühsam auf einem rutschigen, dreckigen Boden durch den Raum. Sie verrenkt sich, bäumt sich auf, fällt zurück, richtet sich wieder auf. Sinn der Aktion und deren vordergründige Symbolik: Die „eingeengte Situation“ der Künstlerin im herrschenden Kunstbetrieb. Sind wir in einem neuen Expressionismus, einer Kunst der aufgesetzten, vordergründigen Symbolsprache, oder spielt sich hier gänzlich Neues ab? Nichts davon stimmt.

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„Performance-Art“ scheint sich jeder positiven Definition zu sperren. Einerseits nimmt sie Elemente des Aktionismus, der Action Painting, des Happenings und der Minimal Art, anderseits verwendet sie Spielformen des Theaters und der Rituale. Eine Mischung aus Kunstformen also, denen eines gemein ist: Der Versuch, aus dem traditionellen Kunstmedium auszubrechen, die traditionellen Formen visueller Ästhetik zu überwinden, den eigenen Körper und auch den klassischen Kunstkonsumenten in den künstlerischen Prozeß miteinzubezie-hen. Kunst als „Integration von Leben und Kunst“.

Daß dies alles noch lange keine revolutionäre Änderung des Mediums Kunst oder der Produktionsbedingungen von Kunst mit sich bringen muß, bewies einmal mehr die Woche der „Performance-Art“ in Wien, die

vier progressive Galerien initiiert hatten. Wien als Tummelplatz für prominente ausländische Performer, eine kleine Sensation für Österreich?

Nun, gleich am ersten Abend gab es eine Rauferei, als der Australier Mike Parr einige Hundert Wiener Kunstinteressierte in einen Raum einschloß, von jedem dreißig Schilling Eintrittsgeld verlangte, das er für eine „Performance“ in Form eines Freßgelages verwenden wollte und dann verkündete, die Dokumentation dieses Gelages werde er als „Kunst“ ausstellen. Die Folge dieser Erklärungen waren ein deutliches Rumoren unter den Kunstfreunden und Tätlichkeiten, sowie Verbalinjurien am laufenden Band, schließlich wurde der Raum gestürmt und der Performer Mike Payr bekam einige Hiebe ab.

Gerade in dieser „Aktion“ zeigte sich wieder die Malaise der „Perfor-

mance-Art“. Ihre Provokation ist nur Scheinprovokation, sie rechnet immer mit der Gutmütigkeit und Passivität der Konsumenten, läuft also genau so starr ab wie jede herkömmliche Theatervorstellung. Nur - der Zuschauer glaubt nachher, aktiv gewesen zu sein. Die bürgerliche Kunstauffassung hat gewissermaßen - heimtückisch wie sie ist - hinterrücks die Avantgarde in ihren Schoß geholt, hat die Aktion in reine Kontemplation umgemünzt. Außer, es passieren nicht einkalkulierte Pannen wie Freitag Abend in Wien. Dann werden angestaute Aggressionen abgeladen, wird die Kunstwelt im Nu zu einer Wirklichkeit, wird das Getto wirklich aufgebrochen. Natürlich nicht im Sinne des Künstlers, dem ich seine Sättigung sogar gegönnt hätte.

„Sobald das Kunstwerk fanatisch um seine Reinheit bangt, daß es selber an ihr irre wird und nach außen stülpt, was nicht mehr Kunst werden kann, wird es zu seinem eigenen Feind, zur direkten und falschen Fortführung von Zweckrationalität“, schrieb Adorno über Performance. Und er hatte nur zu recht. Derlei erweist sich als Symptom des Elends der bürgerlichen Kunstauffassung, als verzweifelter Versuch, Grenzen umzustoßen, die man dann nur noch viel enger und rigider einhält. Die Aktion als Moment der Sinnlichkeit verkommt zu Scheinaktivität, zu einer scheinbaren Kunstwirklichkeit, die ihren Wirklichkeitsanspruch nicht aufgibt. Die Folge ist nicht die angestrebte Politisierung, sondern Entpolitisierung, Ideologisierung von Kunst. Sie erstarrt zur leeren Pose, „sie gerät in die Nähe faschistoider Kunstauffassung“ (Martin Damus).

Wenn etwa der Österreicher Helmut Schober weißgekleidet zwischen zwei senkrechten Glasplatten kniet, im Mund ein Pendel festklemmt und durch Drehen des Kopfes das Pendel zum Schwingen bringt, bis es die beiden Glasplatten zerstört, so ist das die simpelste, banalste „Ausstülpung von etwas, das nicht Kunst werden kann“, um mit Adorno zu sprechen. Kunst regrediert zum Ritus, zur Trivialsubli-mierung und gerät in die Nähe der „Heilsverkündung“ (Damus), primitivster Symbolik. Performance, die mit der Geduld und kontemplativen Ideologisierung des Publikums spekuliert, ohne es zuzugeben, wird trotz aufgesetztem Engagement und revolutionärem Pathos reaktionär und schlecht.

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