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Generationswechsel und Reform der Politik

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Der Schluß, den man aus der jüngsten politischen Entwicklung im Burgenland ziehen kann, ist wohl dieser: Die Leistungen, die verdiente alte Männer in bestimmten historischen Situationen vollbringen konnten, sind heute keine Legitimation mehr auf einen Daueranspruch in der politischen Führungskunst. Wenn für sie auch linientreue Wahlmanager besondere Vorliebe zeigen, weil alte Männer sich gut für die politische Mythenbildung eignen, so kann diese Tatsache doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihre Faszinationskraft auf die Wähler im Abnehmen begriffen ist. Ferner leben wir nicht mehr in der Phase der „demokratischen Restauration“, wie sie nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus gegeben war. Eine Generation ist im Anmarsch, die der dauernden Hinweise auf die großen Verdienste dieser Männer bei der demokratischen Restauration im Jahre 1945 müde geworden ist. Der Wähler hat dieses Unternehmen längst ratifiziert. Auch die junge Generation will, daß man die demokratische Kontinuität wahre, verrät aber wenig Zuneigung, sich mit bestimmten Strukturen für alle Zeiten zu identifizieren. Die Zeit ist gekommen, der Demokratie eine neue Dynamik zu geben und die Parteistrukturen und den Führungsstil der Psychologie des auf seine Freiheit und sein Mitspracherecht geradezu eifersüchtig bedachten modernen Menschentyps anzupassen.

Man hat den Eindruck, daß trotz der konstruktiven wirtschaftlichen Aufbauleistungen der Parteien das Interesse für die Mitarbeit im demokratischen Alltag eher stagniert als lebendig ist. Man kann diese bedauernswerte Erscheinung zwar nicht allein auf das Konto der Parteien buchen, aber es kann nicht übersehen werden, daß das allzulange Verhanen in der Phase der demokratischen Restauration und das „Kuhwagentempo“ der längst angekündigten Reformen den Unwillen des demokratischen „Fußvolkes" hervorruft. Die Ermüdungserscheinungen zeigen sich auf der,unteren und mittleren Ebene der Parteiapparate, besonders bei der sowieso dünnen Schicht der jungen Funktionäre, die Fronterfahrungen besitzen und daher mehr als die oberste Parteiprominenz die Stagnation des demokratischen Lebens spüren. Das Verlangen geht auf eine stärker organisch und wahrhaft freiheitlich konzipierte Demokratie, die zunächst im parteipolitischen Bereich zum Durchbruch kommen und praktiziert werden soll. Wollen die Parteien eine neue Dynamik im Burgenland erringen und eine Reform unserer Demokratie in die Wege leiten, dann werden-sie eine ehrliche Diagnose ihres Gesundheitszustandes nicht hinausschieben können. Jede Verschleierung der wahren Situation erschwert die dringlich gewordene politische Therapie.

Landeshauptmann auf neuem Kurs

Die burgenländische Öffentlichkeit registriert Ereignisse im Landesgeschehen, die irgendwie als Ansätze zu einer politischen Regeneration gedeutet werden können, mit größter Aufmerksamkeit. Eine Überprüfung des demokratischen Apparates und selbst Teilreformen sind in der Übergangsperiode schon Anzeichen, die man positiv kommentiert. Der unvermeidliche Regierungswechsel ist bei der Volkspartei dank der Besonnenheit des Altlandeshauptmannes Wagner trotz langen Tauziehens um die Nachfolge gut gelöst worden. Der neue Landeshaupt mann, Regierungsrat L e n t s c h, verfügt über eine intensive Regierungserfahrung als Landesrat zweier Legislaturperioden. Dadurch ist der Preis, den die ÖVP für die Übergangsperiode bezahlen muß, relativ gering. Bei der SPÖ ist die Wachablöse im Landhaus mit einem viel größeren Risiko verbunden. Landeshauptmannstellvertreter Wastl wurde über Nacht von der Abgeordnetenbank und vom Präsidentensitz in die Regierungs Verantwortung berufen. Eine Presfigeeinbuße im Landhaus würde auch die parteiinternen Stabilisierungsversuche der Reformergruppe, die mit vielen Schwierigkeiten aus der Wessely-Ära zu kämpfen hat, behindern und in Frage stellen. Der Bögl-Wastl-Kurs der SPÖ will nämlich die innerparteiliche Diskussion wiederherstellen und durch eine gemäßigte Linie, verbunden mit sachlicher und konzilianter Haltung, an der Lösung der Landesprobleme mitarbeiten. Ob sich dieser Kurs durchsetzt, wird die Zukunft erweisen. Zweifelsohne handelt es sich um ein Experiment, das die Phrase und den alten polemischen Stil der Parteipropaganda überwinden und auf diesem Weg zu neuen politischen Erfolgen gelangen will.

Auch der neue Landeshauptmann der ÖVP ist bemüht, einen frischen Wind in das Landhaus zu bringen und personale Energien zu entwickeln, die der Stellung des Landeschefs ein neues Pouvoir verschaffen, sowohl im eigenen Land als auch den Bundesstellen gegenüber. Mehr als seine sozialistischen Kollegen, darf er sich auf die Kontinuität berufen. Lentsch plädiert auch sehr stark für die demokratische Zusammenarbeit im Schoß der Koalition, nur mit der Einschränkung, daß es in weltanschaulichen Grundsatzfragen keinen Kompromiß geben werde. Nach seiner Wahl zum Landeshauptmann veröffentlichte Regierungsrat Lentsch, der aus dem ÖAAB kommt, in einem ÖVP-Organ einen Artikel, in dem er feststellt, daß es zuwenig wäre, die Tradition fortzusetzen, sollte damit auch nicht das Bestreben nach neuen Wegen verbunden sein. Man wird mit ihm Geduld haben müssen, bis er fest im Sattel sitzt. Der Erneuerungswille ist da und noch nie so deutlich von einer maßgeblichen ÖVP- Persönlichkeit bekundet worden. Wenn es außerdem gelingt, sein politisches Gewicht im obersten Parteiorgan in die Waagschale zu werfen und die kleine Reform, die vor den letzten Landtagswahlen einsetzte, zu einer großen echten Erneuerung auszubauen, dann mag die Volkspartei wieder zu einem festen Turm der Demokratie an der Grenze der freien Welt weiden.

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