"Man schaut auf seine Klientel"

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Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch über rot wählende landwirte, angst vor dem angriff "des Russen" und den Machtpolitiker Hans niessl.

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Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch über rot wählende landwirte, angst vor dem angriff "des Russen" und den Machtpolitiker Hans niessl.

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Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle spricht über Evakuierungspläne des Bundesheeres, sozialdemokratische Kroaten und analysiert, wieso das Burgenland trotz seiner agrarischen Prägung seit mehr als fünf Jahrzehnten von der SPÖ regiert wird.

Die Furche: Das Burgenland ist neben Wien und Kärnten die sozialdemokratische Bastion Österreichs -seit 1964 wird es durchgehend von roten Landeshauptleuten regiert. Woher rührt das?

Kathrin Stainer-Hämmerle: Bis in die 1960er-Jahre war es ein ÖVP-dominiertes Bundesland. Der Wechsel 1964 ist vor allem auf einen soziodemografischen Wandel und einen Rückgang der Agrarquote zurückzuführen. Viele Bauern wurden zu Arbeitern, die noch dazu in städtische Gebiete wie Wien oder Graz pendelten. Besonders in Wien kamen diese Pendler verstärkt mit der Sozialdemokratie in Kontakt. Die burgenländische Landwirtschaft war stark von Kleinbauern und Landarbeitern geprägt. Die fühlten sich von der Politik der ÖVP wenig angesprochen, die eher Unternehmer und Großbauern adressierte. Hinzu kommt die Volksgruppe der Burgenlandkroaten, die überwiegend rot wählen.

Die Furche: Welche Faktoren haben die rote Dominanz dann über die Jahrzehnte verfestigt?

Stainer-Hämmerle: Vor allem die vom Bund ausgehende Bildungsexpansion, die als sozialdemokratische Errungenschaft galt. In den Kreisky-Jahren und unter Fred Sinowatz als Unterrichtsminister wurden in ganz Österreich viele neue Schulen gebaut. Das Burgenland hat davon sehr profitiert -heute hat es österreichweit die höchste Maturantenquote. Unter Kreisky als Bundeskanzler und Theodor Kery als Landeshauptmann wurden die Arbeitsplätze im Burgenland zudem innerhalb einer guten Dekade von 45.000 auf rund 100.000 ausgebaut. Die Investitionen der SPÖ-Landeshauptleute und Bundespolitiker ins Burgenland haben also sicher eine Rolle gespielt - die Bevölkerung hat das der Sozialdemokratie auch später noch angerechnet. Zudem haben die burgenländischen Landeshauptleute -ob Kery, Karl Stix oder Hans Niessl - ihre Macht taktisch sehr geschickt ausgeübt. Also mit wenig Ideologie und dem Versuch, stets etwas für die Region herauszuholen. Das beste Beispiel ist der EU-Beitritt in der Amtszeit von Stix, der es geschafft hat, das Burgenland zum geförderten "Ziel eins"-Gebiet zu machen.

Die Furche: Erwarten Sie bei der Nationalratswahl ein ähnliches Bild wie in vergangenen Jahren? Wäre es denkbar, dass sich an der SP-Vorherrschaft künftig etwas ändert?

Stainer-Hämmerle: Wir sehen ja, wie wichtig derzeit Persönlichkeiten an der Spitze von Parteien sind. Und wir sehen, wie schnell Umfragewerte sich ändern, wenn Köpfe ausgetauscht werden. Dementsprechend können Mehrheitsverhältnisse in Zukunft sicher leichter wechseln als früher. Auf Landesebene sind solche Wechsel ein bisschen träger, aber auch dort gibt es eine stärkere Wechselbereitschaft der Wähler und die Sehnsucht nach etwas Neuem. Mit Sebastian Kurz wird die ÖVP jedenfalls wohl auch im Burgenland ein stärkeres Ergebnis erreichen als in der Vergangenheit - gerade weil er das Thema Sicherheit so stark bedient.

Die Furche: Und das Thema Sicherheit spielt im Burgenland eine starke Rolle - jedenfalls in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Ihre Erklärung als Politologin?

Stainer-Hämmerle: Es hat sicher mit der Randlage zum Osten zu tun. Zuerst gab es jahrzehntelang den Eisernen Vorhang, danach die Angst: Was passiert, wenn die Grenze aufgeht? Das Burgenland ist bezüglich Kriminalitätsrate das sicherste Bundesland Österreichs. Trotzdem haben die Burgenländer ein höheres Sicherheitsbedürfnis als die Bewohner anderer Bundesländer. Menschen meiner Generation können sich an die Zeit von Ost-und Westblock noch gut erinnern, jene, die heute unter dreißig sind, nicht. Aber: Die bekommen es von ihren Eltern erzählt, das Gefühl von damals wird also weitertransportiert und zum Teil auch übernommen. Und wenn man sich die strategischen Pläne anschaut, die das Bundesheer früher für den Fall von Angriffsszenarien hatte: Da ging es -auch lange, nachdem die Grenze schon offen war -immer um eine Evakuierung vom Osten in den Westen. Das Szenario war also sinngemäß: Es kommt der Russe und greift an. Diese Dinge bleiben natürlich im kollektiven Gedächtnis hängen und prägen auch nachhaltig.

Die Furche: Landeshauptmann Hans Niessl und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil stehen für den rechten Flügel der SPÖ. Es ist kein Zufall, dass beide im Burgenland sozialisiert wurden, oder?

Stainer-Hämmerle: Wenn Sozialdemokraten im Burgenland erfolgreich sein wollen, dann müssen sie das Thema Sicherheit bedienen. Niessl ist ein Machtpolitiker und weiß, was die Bevölkerung von ihm erwartet. So kann man Wahlerfolge einfahren, und das hat wenig mit Ideologie zu tun. Es gibt allerdings auch bei den Sozialdemokraten eine starke rechte Tradition. Im Sinne, männliche Industriearbeiter vor ausländischen Arbeitern zu schützen. Man schaut natürlich auf die eigene Klientel.

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