EUROPA: DIE MORAL VON HECHT UND KARPFEN

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Geht es nach den Umfragen, dann brauchen sich Euro-und Europaskeptiker landauf landab keine Sorgen zu machen, egal ob sie nun anarchistische oder neulinke Fahnen, freiheitliche Hüte oder englischen Tweed tragen: Die kommenden Europawahlen werden aller Voraussicht nach nicht mehr Europa bringen, sondern weniger. Die Stimmen für EU-skeptische rechtsnationale und andere radikale Parteien dürfte sich demnach mehr als verdoppeln, das Lager der "Fraktionslosen" könnte dritte Kraft im EU-Parlament werden. Man wird diese Wahl dem Ergebnis entsprechend als Zeichen werten, dass Europas Bürger lieber eine kleine, feine, reiche Union souveräner Staaten wollen als einen in Euroschulden getränkten, bürokratisch-sklerotisch-zentralistischen Staatenpudding. Und es wird dann vermutlich heißen: "Mehr Europa ist weniger"(wie auch im FURCHE-Leitartikel von Rudolf Mitlöhner, 3/2014).

Das Argument klingt sehr gut, weil es die Geborgenheit einer kleineren Gemeinschaft verspricht, das Gefühl der Sicherheit und ein Comeback der nationsgebundenen Vielfalt in religiöser Einheit. Einmal abseits dieses heimeligen Gefühls müsste man freilich eine trockene Analyse der Fakten anstellen: Brauchen wir mehr Europa? Wenn ja, wo? Sicher ist, dass die EU in ökonomischer Hinsicht mehr braucht, im Sinne von Wachstum, nicht weniger. Darüber sind sich alle einig, Griechen und Deutsche, EU-Kommission und Eurogegner, Zentralisten und Nationale. Wo könnte Europa also weniger werden, wenn nicht in der Wirtschaft? Der Zusammenhalt der EU-Staaten würde sich nach Ansicht einiger als Schrumpfungszone anbieten, nach dem Motto "Euro pfui, Schengen pfui, Nordeuro hui". Aber das verkennt Europas wichtigste Errungenschaft: Sein Wirtschaftswachstum ist gekoppelt an ein Wachstum der Gegenseitigkeit. Die EU verfolgt ein kapitalistisches Mischkonzept: Sie schafft in den integrierten Regionen politische Stabilität und rechtsstaatliche Prinzipien aus der Überzeugung, dass es ohne politische Reife keinen nachhaltigen Wohlstand geben kann.

In Zeiten des Volkszorns

Insoferne sind Integration und Wirtschaftswachstum nicht beliebig austauschbar, sie bedingen einander. Dieses Konzept fußt übrigens nicht auf dem christlichen Prinzip der Nächstenliebe. Allen Bekenntnissen zum kulturellen Erbe zum Trotz haben nämlich Börsenglocken hier immer noch mehr Gewicht als Kirchenglocken - mag man das nun bedauern oder nicht. Diese Gemeinschaft beruht auch nicht auf dem Plan eines Sozialprojekts, das Bäume mit Hängematten in den Himmel wachsen lässt. Nein, die EU folgt einer ganz einfachen und sehr egoistischen Logik: Menschen, die eine wirtschaftliche Perspektive haben und in einem Rechtsstaat leben, brauchen weder Diebstahl noch Raub, um ihr Auslangen zu finden. Sie zerstören in der Regel nicht und führen nicht Krieg, sondern produzieren und konsumieren um es besser zu haben. Ihr individuelles Streben bedeutet am Ende Sicherheit für ganz Europa, mehr Sicherheit als Millionen Polizisten je geben könnten.

Tatsächlich sinkt das Vertrauen in die EU immer dann, wenn es zu wirtschaftlichen Engpässen und steigender Arbeitslosigkeit kommt. Das dürfte auch heuer bei den EU-Wahlen so sein. Aber trotz des plebiszitären Zorns ist das Projekt EU bis heute gelungen. Genau das kann man von den Experimenten des Nationalstaates nicht behaupten. Statt der behaupteten Idylle des Kleinen und Feinen finden wir da nämlich historisch bloß Ressentiments und politische Dummheit bis zu ihrer extremsten Form: Krieg.

Was in Summe folgenden Schluss erlaubt: Wenn alle Argumente gegen die EU-Sozialschmarotzer, Griechen-Defizit, Gurkenkrümmung, Kriminalität etc. - zusammen schwerer wiegen als die Vorteile der Gemeinschaft, dann muss es tatsächlich weniger Europa geben. Aber erst dann. Kein Schwarz-,Rot-,oder Blaubeflaggter und kein Liebhaber englischen Tweeds konnte das bisher nachweisen. Bis es soweit ist, wird Europa aber nicht mehr werden können, wenn es weniger wird. Das wäre gerade so, als würde - um mit Rudolf Mitlöhner zu sprechen - der Karpfenteich ohne Hecht den besseren Fisch liefern. Und das ist ja nun tatsächlich unmöglich.

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