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Ausnützung von Kälte und Wärme.in Erde und Luft

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Die Temperatur der Luft und der obersten Erdschicht weist unter dem Einfluß von Sonne und Atmosphäre große tägliche und jährliche Schwankungen auf. Die jährliche Temperaturschwankung ist in verschiedenen Klimazonen der Erde verschieden groß. Mittelamerika, Westindien, Nordpersien und Madagaskar zeigen beispielsweise mittlere jährliche Schwankungen der Temperatur von etwa 5 Grad Celsius. In Klimagebieten, wie Arizona, New Mexiko, Texas, Österreich, Dalmatien, Bulgarien und andere herrscht bereits eine mittlere jährliche Schwankung von 20 Grad Celsius. Dann gibt es Gebiete auf der Erde mit ganz extremen Temperaturschwankungen, wie zum Beispiel Sibirien, wo in Jakutsk die mittlere jährliche Temperaturschwankung 60 Gnad Celsius beträgt, oder in Werchojansk, wo sie sogar 65 Grad ausmacht. Die Wärmeschwankungen sind aber nur in den obersten Erdschichten so groß. Sie nehmen mit zunehmender Bodentiefe ab und schließlich wird eine Tiefenstüfe erreicht, wo die Temperatur konstant bleibt. Die Tiefe der konstanten Bodentemperatur ist von der Wärmeleitfähigkeit der Erde und von der Temperaturamplitude der Außenluft abhängig. Im schlechtwärmeleitenden Sandboden liegt sie am höchsten, im gutwärme- leiten.den Fels am tiefsten. In Wien, Hohe Warte, wird zum Beispiel die während des ganzen Jahres konstant verbleibende Erd temperatur in 10 Meter Tiefe erreicht, Sic beträgt 10,5 Grad Celsius. Dieser Tem peraturwert bleibt von den Schwankunger der Lufttemperatur und den Schwankung der Temperatur der obersten Erdbodenschicht völlig unberührt. Er behält den gleichen Wert von 10,5 Grad selbst bei strengster Winterkälte oder extremster Hitze im Sommer. Im Sommer empfindet der Mensch eine Temperatur von 10 Grad als sehr kühl, im Winter als relativ warm.

Zur Erschließung dieser in der Erde enthaltenen Kälte, beziehungsweise Wärme hat Ludwig Motzko, der bekannte österreichische Wärmetechniker, ein neuartiges System für technische und landwirtschaftliche Zwecke entwickelt. Es ermöglicht mit verhältnismäßig geringen Kosten einen Wärmeausgleich für die verschiedenen Jahreszeiten in Wohn- und Siedlungshäusern gemäßigter und heißer Länder. Mit dem gleichen Prinzip kann auch die Durchkühlung und Trocknung von Grubenschächten herbeigeführt werden, was um so bemerkenswerter ist, als in montanistischen Kreisen vielfach die Meinung vorherrscht, daß eine natürliche Bewetterung der Schächte mit kühler Luft nicht möglich sei. Motzko schildert einfache technische Vorkehrungen zur Förderung des Pflanzenwachstums durch Ausnützung der Bodenwärme und zur Entnebelung von Straßen. In regenarmen, heißen Gebieten kann bei der Durchkühlung der Wohnräume gleichzeitig Kondenswasser aus der Atmosphäre gewonnen werden. Das gleiche Verfahren kann auch zur Ausnützung der natürlichen Luftwärme zur Vorwärmung von Wohngebäuden im Winter mit erwärmter Luft in kalten und gemäßigten Ländern angewendet werden.

Für ein angenehmes Wohnen ist die Durchkühlung der Wohnräume in der heißen Jahreszeit von nicht geringer Bedeutung. Die angenehmsten Temperaturen sind im Sommer in gemäßigten Breiten bekanntlich in den Kellern der Wohnhäuser vorhanden. Mit Hilfe des Systems von Motzko wird gewissermaßen die Kühle der Kellerräume in die Wohnungen heraufgeholt. Nach Motzkos Angaben soll in entsprechender Tiefe unterhalb des Kellerfußbodens eines Wohnhauses ein durchlaufender, etwa 40 Zentimeter hoher Hohlraum, dessen Betondecke von kleinen Stützpfeilern getragen wird, angelegt werden. Darüber ist eine Anschüttung mit Erde bis zum Kellerfußboden vorgesehen. Die in den Hohlraum durch einen niedrigen lotrechten Zuluftkanal einströmende warme Außenluft durchströmt den Hohlraum mit großem Querschnitt bei stark verminderter Geschwindigkeit, kühlt sich dabei- gut ab und steigt als kühle Luft durch hohe Steigrohrleitungen zu den einzelnen Wohnräumen der übereinanderliegenden Geschosse empor, in die sie durch ein- und ausschaltbare kleine Elektroventilatoren angesaugt wird. Die dabei verdrängte Innenluft strömt durch hochgelegene Maueröffnungen oder Fensterventilatoren ins Freie aus. Dieselbe Einrichtung kann in der kalten Jahreszeit zur Temperierung mit vorgewärmter Luft benützt werden. Für ein Krankenhaus in Philadelphia ergibt die Berechnung der Endtemperatur der im kältesten Monat Jänner durch Ausnützung der natürlichen Bodenwärme bewetterten Krankenräume eine Erhöhung der Außenluft von — 0,6 Grad auf 9,0 Grad Celsius.

Im Sommer ist es mit Hilfe einer einfachen technischen Vorrichtung möglich, eine von Isolierungen oben und seitlich eingeschlossene Erdmasse unterhalb des Kellerfußbodens vorzuwärmen. Wenn die Außenluft im Herbst kühler wird, schaltet man den „Wärmeakkumulator” im Keller durch Unterbindung der Zirkulation zwischen Außenluft und Kellerluft vorübergehend ab. Die Sommerwärme liegt dann bis zu ihrer Verwendung in der vorgewärmten, abisolierten Erdmasse im Keller bereit. Im Winter werden die kleinen Elektroventilatoren in den Wohnungen eingeschaltet, welche dann die im Keller aufgespeicherte Sommerwärme im Luftstrom ansaugen. Die kalte Außenluft fließt durch das freigemachte Einzugsrohr in den Kellerhohlraum, wird dort vorgewärmt und steigt dann als warme Luft in die Wohnräume auf. Bei genügend großer Dimensionierung der isolierten Erdmasse im Keller erreicht die Temperatur in den Wohnräumen so hohe Werte, daß nur wenig nachgeheizt zu werden braucht.

Für regenarme und heiße Gebiete macht Motzko Angaben und Berechnungen von Großanlagen zur Bewetterung mit kühler Luft und zur Gewinnung von Kondenswasser aus der Atmosphäre. Das Prinzip ist einfach. In einem geneigten Gelände führen von hochgelegenen Kammern mehrere in das Erdreich verlegte Rohrleitungen zu der im Tal gelegenen Siedlung hinab. Die oben in die Kammer einströmende Luft wird in geneigten Rohrleitungen, die in der kalten Jahreszeit systematisch durchgekühlt werden, beim Abwärtsfließen immer mehr abgekühlt. Schließlich wird der Taupunkt erreicht und es kommt zur Bildung von Kondenswasser, das in Wasserkammern aufgefangen wird. Das sich bildende Kondenswasser kann durch Einlegung von Kalksand oder auf sonstige Weise hartgemacht und als Trinkwasser verwendet werden. Es kann auch zur Bewässerung von Gemüsegärten verwendet werden.

Von den mannigfachen Anwendungsmöglichkeiten des Motzkoschen Systems sei noch kurz das Verfahren zur Entnebelung von Straßen erwähnt. Durch Temperaturerhöhung der Straßendecke soll in der kalten Jahreszeit eine Hebung des Nebels erreicht werden, derart, daß eine tunnelförmige Sicht über der Straßendecke entsteht. Durch technische Vorkehrungen, die im wesentlichen aus einem in der Achse der Straße führenden Luftgraben und aus hufeisenförmigen Querkanälen an den Seiten des Grabens bestehen, wird Erdwärme von der weitaus wärmeren Sohle des Luftgrabens knapp unter die Straßendecke gebracht. Dort gibt die spezifisch leichte Innenraumluft ihre Wärme ab und fällt als kältere und schwere Luft wieder zur Sohle hinab. Für eine Londoner Straße ergibt die Berechnung eine Erhöhung der Temperatur von 5,0 Grad Celsius auf 7,8 Grad Celsius.

An Hand physikalisch exakt durchgerechneter Beispiele hat Motzko die in verschiedenen Klimazonen mögliche Durchkühlung, beziehungsweise Durchwärmung der Anlagen mittels der in Erde und Luft enthaltenen Kälte und Wärme aufgezeigt. Außerdem liegen wissenschaftliche Versuchsergebnisse ähnlicher Einrichtungen vor. So wurden in Wien eine große Anzahl von Trockenlegungen feuchter Mauern nach dem Motzkoschen System „Strömende Luft” ausgeführt, darunter auch einzelne mit tief ins Erdreich reichenden Luftgräben, wenn zum Beispiel feuchte Magazine trockengelegt werden mußten. Dabei wurden die Temperaturen der ein- und ausströmenden Luft, die Feuchtigkeitsverhältnisse und die Strömungsgeschwindigkeit gemessen. Daraus konnten die dem Mauerwerk entzogenen Wassermengen ermittelt werden. Messungen und Berechnungen zeigten stets eine gute Übereinstimmung.

Umstritten bleibt noch die Frage, ob das Erdreich eine aufgenommene Wärmemenge auch so rasch weiter abzuleiten vermag, daß kein Wärmestau entsteht. Motzko hat in Aussicht gestellt, gelegentlich vergleichende Meßergebnisse von tiefen Gruben vorzulegen.

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