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Die Manager hinken nach

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Die Wahlmanager der beiden großen Parteien — denn diese bestimmen die politische Entwicklung in Österreich, die FPÖ und die KPÖ spielen doch nur die Rolle von Störelementen — bereiten ihre Parolen für den 18. November vor.

Beide großen Parteien werden in ihrer Propaganda auf die grundsätzliche Haltung von fast 90 Prozent der Wähler Rücksicht nehmen müssen. Diese überwältigende Mehrheit des österreichischen Volkes wünscht die Zusammenarbeit der beiden Parteien, sie bejaht die Koalition. Diese Grundhaltung bestimmt, die Parolen der beiden Parteien. Sie werden daher beide in dieser oder jener Form für die Fortsetzung der Koalition eintreten.

Diese Grundhaltung des österreichischen Volkes scheint uns durch verschiedene Elemente bestimmt. Bei den Älteren spielt sicher die Erinnerung an die Vergangenheit vor 1934 eine große Rolle. Diese Gruppe wird mit der Zeit immer kleiner, für die junge Generation gibt es andere gewichtige Gründe, die es zu untersuchen gilt.

Die ideologischen Kämpfe der Vergangenheit, die mit fast religiösem Eifer ausgefochten wurden, haben für sie keine Bedeutung. Und — seien wir ehrlich — auch jene, die an ihnen teilgenommen haben, können (und wollen) heute nicht mehr die Atmosphäre wiedererwecken, die sie damals alle umfaßt hat.

Aber es ist nicht nur das negative Element, das heißt das Fehlen der ideologischen Einstellung der Vergangenheit, das die Haltung der jüngeren Jahrgänge beeinflußt. Es scheint uns, daß es viele wesentliche Gemeinsamkeiten, die, wenn man es so sagen will, unbestrittene, außer Streit stehende Auffassungen über wesentliche Elemente unserer Existenz sind, gibt, die in einem immer höheren Maße die Entscheidungen der Wählerschaft bestimmen werden. Das heißt, es haben sich wesentliche Elemente eines positiven Staatsbewußtseins entwickelt, das eine breite politische Basis darstellt, dem die beiden großen Parteien aber noch nicht Rechnung getragen haben. So paradox es klingen mag, d i e politischen Manager hinken hinter der Entwicklung des Massenbewußtseins hier und nicht umgekehrt. Weil keine der beiden Parteien den Wünschen und Auffassungen der Bevölkerung ganz entspricht, weil beide wesentliche Teile dieser Wünsche und Auffassungen verkörpern, wünscht das österreichische Volk, daß sie gemeinsam regieren, wünscht es die Aufrechterhaltung der Koalition.

Worin liegen diese Gemeinsamkeiten, die im Volke das so notwendige Staatsbewußtsein untermauern? Versuchen wir, einen kleinen Katalog dieser Gemeinsamkeiten zu geben, der aber keineswegs Anspruch darauf erhebt, vollständig zu sein:

Die übergroße Mehrheit der Österreicher bekennt sich zur demokratischen Republik Österreich und ihrer Eigenstaatlichkeit in den bestehenden Grenzen.

Diese Gemeinsamkeit in der wichtigsten Frage unserer Innenpolitik wird unseres Erachtens den so ersehnten Schlüssel zu einer der wichtigsten Fragen, ohne deren Lösung ein wirklich gesünder und echter Patriotismus nicht entstehen kann, liefern. Wir meinen damit das Entstehen einer gemeinsamen Würdigung unserer eigenen Vergangenheit. Es wird allen Österreichern möglich sein, mit Stolz auf eine große Vergangenheit zurückzublicken, wenn sie sich über die gemeinsamen Grundlagen der Gegenwart einig sind! Auch andere Völker haben ähnliche Schicksale gehabt wie wir. Nehmen wir doch das heute so beliebte Beispiel Schwedens, das einmal die nordische Großmacht war und heute mit seiner Bevölkerung von 8,000.000 die Existenz eines innerlich gefestigten Kleinstaates führt. Wir sind überzeugt davon, daß man in den Schulen Schwedens den Kindern ein leuchtendes Bild des großen Königs Gustaf Adolf gibt. Warum soll man sich bei uns der historischen Leistungen der Habsburger-Kaiser schämen? Warum soll man nicht endlich auch anerkennen, daß die Monarchie unter Kaiser Franz Joseph trotz aller Schwierigkeiten eine letzte Periode des äußeren Glanzes erlebt hat? Nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangt die Gegenwart von uns.

Der zweite Punkt, über den wir alle einig sind, betrifft die Stellungnahme zur ungeschmälerten Freiheit des Individuums, zum Rechtsstaat mit allen seinen Konsequenzen und der Ablehnung jeder wie immer gearteten Diktatur.

Des weiteren scheint es uns, daß die übergroße Mehrheit des österreichischen Volkes sich zu einem vernünftigen Wohlfahrtsstaat bekennt; das Recht aller Interessengruppen und Klassen der Gesellschaft auf einen entsprechenden Anteil am Volkseinkommen ist anerkannt, die Verpflichtung der Gemeinschaft, für die Alten und Kranken zu sorgen, wird von keiner ernst zu nehmenden Gruppe bestritten. Das Recht auf Arbeit oder staatliche Unterstützung ist unbestritten.

Der Gedanke der Verstaatlichung erregt keine grundsätzliche Opposition mehr, wiewohl es gewisse Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise der Verwaltung und Finanzierung der „Nationalindustrie“ gibt und geben wird. Verstaatlichung und Planung (Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsleben) sind keine Dogmen mehr, sondern als das erkannt, was sie sind, nämlich neutrale Instrumente, die je nachdem zum Guten und Schlechten der Menschen benützt werden können.

Und zuletzt: Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat stellt für die große Masse des österreichischen Volkes keinen Streitpunkt mehr dar.

Man könnte wohl verlockt sein, zu fragen, wenn man diesen wirklich imponierenden „Katalog der Gemeinsamkeiten“ liest, warum wir nicht die Schaffung einer „Einheitspartei“ propagieren. Wir sind weit entfernt davon, dies zu tun. Die Existenz einer Anzahl von Gemeinsamkeiten bedeutet keineswegs, daß die politische Auseinandersetzung überflüssig wird. Gerade das Gegenteil ist richtig. Sie ermöglicht erst einen sinnvollen politischen Kampf. Auch wenn man die Grundgedanken des Wohlfahrtsstaates akzeptiert, bleiben die entscheidenden Fragen nach der Verteilung des Sozialprodukts offen und müssen in täglicher Auseinandersetzung gelöst werden.

Aber auch andere konkrete Probleme und Fragen harren der Lösung. Wer könnte doch wohl behaupten, daß unser Wohnungswesen nicht reformbedürftig ist oder unser Gesundheitsdienst oder die durch die ständig komplizierter werdenden Formen der Verwaltung bewirkte Ohnmächtigkeit des Staatsbürgers nicht Reformen erheischt, die den Menschen das größte Maß an Freiheit im Rahmen der Gemeinschaft sichern.

Und was gäbe es auf wirtschaftlichem Gebiet alles zu tun!

Ungezählte kleine und größere Fragen harren konkreter Lösungen, die ohne Bezug auf ideologisches Dogma gefunden werden müssen, um dem österreichischen Volk auf dem Boden der bestehenden Ordnung Ruhe und Sicherheit und einen entsprechenden Anteil am steigenden Wohlstand der Welt zu geben.

Wir behaupten, daß gerade das Vorhandensein dieser Gemeinsamkeiten die österreichische Demokratie erst voll zur Entfaltung bringen wird. Erst das Bestehen einer breiten, allgemein akzeptierten Basis gibt die Möglichkeit zur Entwicklung eines parlamentarischen Systems nach Muster des angelsächsischen oder nordischen Parlamentarismus und damit die Überwindung des Zwanges zur immerwährenden Koalition.

Wenn die Schlagworte und Erinnerungen der Vergangenheit durch das sich entwickelnde neue Bewußtsein der Massen, für die der Sozialstaat die reale Basis ihres politischen Seins darstellt, ersetzt sein werden, wird erst die Persönlichkeit des Politikers die ihr zukommende Bedeutung erhalten. Man wird dann nicht mehr in demselben Ausmaß wie heute eine „Partei“ wählen, sondern die Politiker, die bewiesen haben, daß sie zu ihrem Wort stehen und die im Wahlkampf gemachten Versprechungen auch einhalten, die Menschen, die gut fundierte Lösungen für die' aktuellen Probleme vorlegen können.

Eine wirkliche parlamentarische Demokratie braucht starke Persönlichkeiten. Sie kann ohne diese nicht funktionieren. Schon in den letzten Monaten ist die Rolle, die eine lautere, starke Persönlichkeit sogar unter den heutigen Bedingungen der Koalition spielen kann, nicht zu übersehen. Erinnern wir uns nur, welches Aufsehen der spontane Verzicht des Präsidenten des Österreichischen Gewerkschaftsbundes auf sein Mandat hervorgerufen hat und mit welchem Interesse seither die Öffentlichkeit alle seine Schritte verfolgt.

Die meisten unserer führenden Politiker sind noch weit davon entfernt, der neuen Situation Rechnung zu tragen. Zu tief sitzt ihnen noch das Mißtrauen gegen die Absichten der anderen Partei in den Gliedern, um auch nur für eine Legislaturperiode die Koalition, die mit einer Zwangsehe verglichen worden ist, durch eine — wozu es freilich auch eines anderen Wahlgesetzes bedürfte — Einparteienregierung zu ersetzen, die, den parlamentarischen Spielregeln der westlichen Demokratien folgend, in der nächsten Legislaturperiode dem Willen der Wähler entsprechend durch die Regierung der anderen Partei abgelöst werden könnte, ohne daß damit die Welt zugrunde ginge.

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