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Konkrete Zukunftsprogramme wurden im Wahlkampf vermißt

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Die Erneuerung Italiens ist erst im Gange. Die Wahlen kommenden Sonntag sind eine Etappe dazu. Zu hoch gegriffene Erwartungen haben keine Entsprechung in der politischen Realität. Die Kluft zwischen den Großgruppierungen scheint unüberwindbar.

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Die Erneuerung Italiens ist erst im Gange. Die Wahlen kommenden Sonntag sind eine Etappe dazu. Zu hoch gegriffene Erwartungen haben keine Entsprechung in der politischen Realität. Die Kluft zwischen den Großgruppierungen scheint unüberwindbar.

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Die „unblutige Revolution“ die die Mailänder Staatsanwälte vor zwei Jahren durch ihre beispiellose, in den Medien bald „saubere Hände“ getaufte Ermittlungsoperation gegen Schmiergeldaffären sowie korrupte Politiker, Beamte, Unternehmer und Financiers in Gang setzten, erreicht mit den Parlamentswahlen vom kommenden Sonntag und Montag, 27./28. März, einen Höhepunkt.

Ob mit diesem Urnengang in Italien tatsächlich jedoch eine neue po-litis.ch-institutionelle Ära beginnt, die vielbeschworene „Zweite Republik“ nämlich, ist freilich äußerst zweifelhaft. Gewiß, Italien befindet sich im Zustand des Umschwungs. Aber für eine Neuerrichtung des Staates, zumal gerade im Apenni-nenland, genügt nicht ein neues Wahlrecht alleine, wie es nach langen hitzigen Diskussionen letztes Jahr schließlich zustande kam.

Zu einer Zweiten Republik gehören vielmehr von Grund auf reformierte, leistungsfähige Einrichtungen, die zu schaffen aber weder die herköirimlichen, ohnehin größtenteils in Mißkredit geratenen Parteien noch die inzwischen entstandenen Erneuerungsbewegungen den Mut oder die Kraft aufzubringen vermochten. So blieb es letztlich bei einer Utopie der Umgestaltung.

Viele Italiener gestehen sicn ein, daß nicht nur Lippenbekenntnisse und Absichten eine Weride herbeiführen, sondern dafür Überzeugung, Engagement und eine völlig unvoreingenommene Denkweise erforderlich seien.

Allein schon die neue Wahlgesetzgebung beruht auf einem Kompromiß. Da wurde zwar aufgrund des Referendums vom April 1993 das Mehrheitssystem mit Einerwahlkreisen eingeführt, doch nur zu 75 Prozent. Für das restliche Viertel sind Proporzmandate samt einem komplizierten „Stimmenausgliede-rungsverfahren“, hauptsächlich zugunsten der kleineren Kräfte, zur Verteilung vorgesehen.

Das hatte zur Folge, daß insgesamt 321 Wahllisten (!), davon eine Unzahl von Minilisten, eingereicht wurden. Grundsätzlich aber war es das Dreiviertel-Mehrheitswahlrecht, das die politischen Parteien und

Gruppen notwendigerweise zum Eingehen geschlossener, wenngleich heterogener Wahlallianzen zwang. Bei diesem nicht ohne Polemiken erfolgten Prozeß schälten sich drei Hauptgruppierungen heraus, die sich um die Gunst der italienischen Wähler bemühen; erstens die unter dem Etikett „Pol der Freiheit“ auftretende Rechte, bestehend aus der lombardischen „Lega-Nord“ Umberto Bossis, dem neu entstandenen Bund der patriotischen Klubs „Vorwärts Italien“ unter dem Medienunternehmer Silvio Berlusconi und der aus der neofaschistischen Sozialpartei hervorgegangenen „nationalen Allianz"; zweitens die Rumpfmitte, die sich aus der „italienischen Volkspartei“ – der alten abgewirtschafteten Democra-zia Cristiana –, des Verbands „Pakt für Italien“ des Referendumsinitiators für das Mehrheitswahlrecht Mario Segni sowie aus Splittergruppen der ehemaligen Regierungskoahtion (meistens Liberale und Sozialdemokraten) rekrutiert; drittens schließlich der große „Progressistische Block“, der sich in einem weiten, rosa- bis knallroten Bogen von abtrünnigen Links-Christdemokraten über die Angelpartei der „Demokratischen Linken“ (der früheren KPI) Achille Occhettos bis hin zur „Kommunistischen Neugründung“ alter, harter Genossen spannt.

Der Wahlkampf – er geht Freitag um Mitternacht zu Ende – spielte sich weitaus weniger als früher in Form von Kundgebungen oder Versammlungen ab, auch vom Plakatanschlagen und Flugzettelverteilen wurde sparsamer Gebrauch gemacht, sondern fand überwiegend im Fernsehen statt – schon deshalb, weil Berlusconi durch sein kommerzielles Fininvest-Netz, ebenso wie die öffentliche RAI, über drei landesweit sendende TV-Kanäle verfügt.

GRENZENLOSE VERWIRRUNG

Auf den Bildschirmen tobte folglich in den letzten Wochen allabendlich ein zeitweise sehr heftiger, oft die Grenzen des Anstands überziehender hemmungsloser Konfrontations- und Redestreit in direkter Auseinander-setzung zwischen den Parteien und den Gruppen einschließlich ihrer Trabanten- und Splittervereinigun-

gen sowie zwischen den einzelnen andidaten. Mitunter waren Verwirrung und Ratlosigkeit derart groß, daß selbst der gewiefteste Zuschauer zuletzt weder ein noch aus wußte. Indes, was der Wahlkampf vor allem vor Augen geführt hat, ist einpial die schier unübersteigbare Kraft zwischen den drei Großgrup-

Sierungen und zum zweiten sind es ie ebenso tiefen Gegensätze innerhalb derselben, das heißt unter ihren verschiedenen Komponenten – hauptsächlich auf ökonomisch-sozialem Gebiet, wobei die brisantesten Themen wie Konjunkturkrise, Arbeitslosigkeit, Steuerlast und Korruption dominierten.

Aber von konkret-konstruktiven Zukunftsprogrammen zur Lösung der Probleme war andererseits wenig zu hören.

So vrandert es nicht, daß Prognosen über den Wahlentscheid in Italien ungleich schwieriger sind als jemals früher. Nicht nur weichen die Meinungsumfragen voneinander stark ab, vielmehr ist – das allerdings steht eindeutig fest – ein hoher Prozentsatz der Italiener (mehr oder minder ein Drittel, heißt es) noch unschlüssig.

Da in erster Linie die Entscheidung zwischen der rechten und der linken Front fällt – die Mitte muß wohl mit erheblichen Verlusten rech- nen -, kann zumindest vorausgesagt werden, daß daraus, aus dieser Konstellation die Nachwahlschlacht erwachsen wird.

Darüber hinaus bereits jetzt auf Koalitionsbildungen und gar schon auf eine irgendwie geartete Regierungsherstellung zu spekuheren, wäre verfrüht.

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