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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DER VIERTE MANN EMPFAHL SICH. Nur der kleinere Saal und die neue Sitzungsordnung unseres Nationalrates hat es nach dem 13. Mai verhindert, daß auf der extremen Linken die Leere noch gähnender empfunden werden mufj. Statt den „traditionellen“ vier Abgeordneten der KPOe lief; der Wähler diesmal nur drei in das Hohe Haus ein: Den schon langsam alternden Koplenig, den düsteren Honner und den zungenfertigen Ernst Fischer, Da waren sie nun wieder alle drei, die als prominente Sprecher der KPOe allgemein bekannt sind. Das Fehlen des „vierten Mannes“ fiel kaum auf. Und doch verlrat der Chef der sfeirischen KP, Landesorganisator Viktor Elser, seine Partei über zehn Jahre im österreichischen Parlament. Seine Rolle war freilich eine undankbare. Galt es propagandistische Lorbeeren zu erwerben, so spielte sich einer der drei prominenten Abgeordneten seiner Partei nach vorne. Elser verblieb die Kärrnerarbeit. Abgeordnete, die mit ihm näher zu tun hatten, schildern ihn als ruhigen, zurückhaltenden Menschen. Der ehemalige steirische Bergarbeitersekretär, der erst unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der Sozialistischen Partei nach 1934 zum Kommunismus hinüberwechselte, wäre — wie man heute weitj — auf keinen Fall im neuen Nationalrat vertreten gewesen. Schwere Differenzen mit der Partei liefjen ihn schon längere Zeit an den Abschied denken. Nun hat er ihn vor aller Oeffentlichkeit vollzogen. Dafj dafür Herr Scharf und das letzte Trüpplein seiner Getreuen von der niemals zu politischer Bedeutung gelangten „Sozialisfischen Arbeiterpartei“ nun auch sich de iure der großen Mutter KP unterstellen, was sie de facto seit Jahren taten, kann für diese keine Milderung im Schmerz um den Verlust eines ihrer gar nicht so zahlreichen Kinder bedeuten, die es zu Abgeordneten gebracht hatten.

PROPORZ ODER DIKTATUR DER 51 PROZENT.

Die Führung . aller Gewerkschaften des OeGB liegt in den Händen von sozialistischen Funktionären, obwohl kaum 60 Prozent der Mitglieder des OeGB Her SPOe angehören. Für die überwiegende Mehrheit der Einzelgewerkschaften des OeGB ist aber d'e Führung durch Sozialisten durchaus gerechtfertigt. Aber nicht bei allen Gewerkschaften, keineswegs bei den Beamten und schon gar nicht bei den Landarbeitern. Hinsichtlich der Beamten stützen wir uns nicht etwa auf Zahlen, sondern auf Aussagen von Nationalrat Czernefz in der letzten „Zukunft“, in der festgestellt wird, daß „die Mehrzahl der Beamten“ der OeVP „nachläuft“, sicher keine Bemerkung, die geeignet ist, die SPOe den Beamten für die nächsten Wahlen anziehender zu machen. Wenn dem nun so ist, muß man doch annehmen, dafj auf diesen Umstand auch in der Führung der Beamtengewerkschaften, zumindest aber bei der Gewerkschaffs-presse Bedacht genommen werden sollte. Bei den Landarbeilerkammerwahlen in Niederösterreich haben die christlichen Gewerkschafter einen eindeutigen Sieg errungen und konnten 25 Kammermandale gegenüber 15 der Sozialisten erringen. Gewiß kann ins Treffen geführt werden, daß nicht alle Kammerwähler bei den Landarbeitern echte Landarbeiter waren. Gleiches könnte man schließlich auch für die Bauernkammerwahlen sagen, wo nicht wenige zur Wahlurne gehen können, die gleichzeitig den Charakter von Dienstnehmern haben. Aber auch Korrekturen bei der Zahl der Wahlberechtigten können nicht den Vorsprung der christlichen Gewerkschafter kompensieren. Trotzdem ist die Führung der Landarbeiter in den Händen von Sozialisten! Entspräche es nicht dem Prinzip der Demokratie, diesem Umstand und den Fakten Rechnung zu fragen und die Führung der Landarbeifergewerkschaft in die Hände von Vertretern der Mehrheit zu legen? Die Besetzung der Führungsslellen ist doch im Jahre 1945 vielfach ad hoc und ausgehend von traditionellen Mehrheitsverhällnissen vorgenommen worden. Wie lange sollen aber noch die Führungsgremien ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeif der Mitglieder und auf die Strukturwandlungen im Denken der Gewerkschaftsmitglieder diktatorisch besetzt bleiben? Wie ist es etwa in der Steiermark? Dort wurden (ähnlich wie bei den spanischen Syndikaten, um ein greifbares Beispiel zu haben) die Mitglieder der Landesleifung der Privatangesfellten vorweg so bestimmt, dafj von zwanzig Leitungsmitgliedern nur drei der christlichen Fraktion zugesprochen wurden. Daraufhin verließen die drei nominierten christlichen Gewerkschafter die Sitzung, und nun wird die steirische Angestelltengewerkschaft ausschließlich von Sozialisten geführt. Glaubt man denn wirklich, daß 85 Prozent der sfeirischen Privatangestellten der SPOe nahestehen? Wo isf der ziffernmäßige Beweis? Der Exodus der christlichen Gewerkschafter in der Steiermark ist ein gefährliches Zeichen. Wir glauben, daß wir warnen müssen, und fühlen uns hierzu berechtigt, weil wir trotz gelegentlicher Angriffe aus dem eigenen Lager stets und eindeutig für die Institution eines einheitlichen Gewerkschaftsbundes eingetreten sind. Unser Eintreten isf aber kein bedingungsloses. Das sei gesagt. Wer an einem Abbau der Gewerkschaftsfeindlichkeit interessiert und im Bestehen einer gewerkschaftlichen Organisafion von Sozialisten und Nichfsozialisfen ein staatspolitisch werfvolles Faktum sieht, müßte alles, aber auch alles vermeiden, was geeignet erscheint, im OeGB lediglich eine Zweckorganisation der SPOe zu sehen, für die Demokratie eine Frage von Pathos und nicht von Ueberzeugung ist. Das tut not: Innergewerkschaftliche Demokratie, Urwahlen, Reform der Gewerkschaftspresse, die „zufällig“ ebenso schreibt wie jeweils die „Arbeiter-Zeitung“..,

EURATOM UND SCHLEICHENDE INFLATION.

Das französische Parlament will mif Ende dieses Monats in die Sommerferien gehen: also die Zeit drängt und der offenen Fragen gibt es viele. Keine von ihnen wird vor dem 31. Juli gelöst werden können. Auch die kürzliche Billigung der Schaffung einer Europäischen Atomenergie-Gemeinschaft (Euratom) durch dis Nationalversammlung bedeutet noch keine Entscheidung. Nach einer verhälfnismäßig kurzen Debatte, bei der erstmalig seif vielen Jahren auch Fachleute vor dem Plenum sprechen durften, erhielt Regierungschef Mollet die Zustimmung des Parlaments in einem Verhältnis von 332 gegen 181 Stimmen — aber die Gegner des Euratom verweisen auf das Beispiel aus dem Jahre 1954, als das Projekt der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft erst bei der Ratifizierung zum Scheitern gebracht wurde. Die Argumente der Gegner sind heute wie damals dieselben. Man anerkennt die Vorteile der größeren technischen Möglichkeiten nach einem Zusammenschluß der Afomforschungszenfren der sechs Montanunion-Länder, aber man fürchtet den Verlust der Bewegungsfreiheit insbesondere für die französische Diplomatie. Man denkt dabei nicht sosehr an die „Großmachtstellung“ als an die Möglichkeif, nach dem Abflauen des kalten Krieges in die Geschicke der Welt fruchtbringend einzugreifen. Das Europa der EVG- und heute Euratom-Anhänger erscheint ihren Widersachern als zu klein. Auszuklammern sind hierbei nur die Kommunisten, die heute wie seit je der Konzeption Moskaus folgen. Ansonsten gehen die Linien quer durch die Parteien — so wie in fast allem auch in der Algerienfrage. Ministerpräsident Mollet und Algerienminister1' Lacoste erhielten von ihrer Partei anläßlich des Kongresses der Sozialisten in Lille strikte Direktiven, wie sie die Algerienfrage lösen sollten: durch einen „Zweifrontenkrieg“ (gegen die Rebellen und gegen die „Ultras“ des Kolonialismus) und durch die Anerkennung des Primats der Politik (Verhandlungen und politische Gesamtregelung). Auch die MRP hat übrigens kurz später den Vorrang der Politik in Algerien anerkannt. Nun erklärte aber der sozialistische Ministerresidenf, daß Verhandlungen zur Zeit eine Illusion seien und daß er sich durch die Beschlüsse von Lille nichf beeinflussen läßt. Die Regierung will noch vor den Parlamentsferien eine zehnprozentige Steuererhöhung zur Deckung der militärischen Aufwendungen in Algerien durchpeitschen. Die Opposition dagegen ist nicht zuletzt in der Partei des Minisferpräsidenten groß, denn man vermerkt ohnehin viele Zeichen einer schleichenden Inflation.

DER ENTSCHLUSS EISENHOWERS, bei den bevorstehenden Präsidenlschaftswahlen abermals zu kandidieren, hat die Siegeschancen der Republikaner zwar wesentlich verbessert, doch ist der Wahlausgang noch keineswegs sicher. Der amerikanischen Cleffentlichkeit hat sich während der letzten Monate eine „Mens-sana-in-corpore-sano'-Psychose bemächtigt, die den Gesundheitszustand der Präsidentschaftskandidaten zu ebensolcher Bedeutung erhoben hat, wie ihre fachlichen und moralischen Qualifikationen. Eisenhowers Blutdruck, Körpertemperatur, Ruhebedürfnis und Diäf werden von der Presse genau so registriert wie der amtliche Wetterbericht und die republikanischen Blätter bringen spaltenlange Auszüge aus den bisherigen Krankengeschichten der möglichen demokratischen Gegenkandidaten, um zu beweisen, daß auch sie nicht völlig gesund seien. Die Zeit, da der an beiden Beinen gelähmte Franklin D. Roosevelf viermal Präsident der USA werden konnte, eben weil die Amerikaner den eisernen Willen bewunderten, mit welchem dieser Mann die Schwächen seines Körpers bezwang, isf vorbei. Man nimmf vielmehr an, daß Eisenhower bereits durch den geringsten Rückfall nach seiner soeben übersfandenen Operation um alle Aussichten auf eine Wiederwahl gebracht würde. Deshalb ist der Umstand, daß der Präsident Zukunftspläne von solcher Tragweite noch vom Krankenlager aus bekanntgab, nur so zu erklären, daß die ihn umgebenden Aerzfe keinerlei Bedenken hinsichflich einer weiteren vierjährigen Amtstätigkeit haben. Ob nun die Wähler, durch die schwere Herzattacke und die gewiß nicht leichte Unterleibsoperation Eisenhowers bereits alarmier), diese Zuversicht feiien werden, isf das große Fragezeichen der bevorstehenden Wahl.

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