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Seine Argumente sind bedenkenswert: Eine Regierung auf breiter Basis könne unerläßliche Maßnahmen leichter durchsetzen als ein Kabinett mit knapper Mehrheit, das ängstlich die Wählerstimmung beachten und ständig Kompromisse suchen müsse. Eine Oppositionspartei sei angesichts der Kompliziertheit des heutigen Staatsapparates auch gar nicht mehr zu wirklicher Kontrolle der Regierung befähigt. Eine Beteiligung aller maßgeblichen Kräfte des Landes würde eine Lok- kerung des Klubzwanges in den Parlament sfraktionen und damit eine stärkere Vorrangstellung des Abgeordnetengewissens erlauben. Sie würde vermeiden helfen, daß eine große Oppositionspartei durch ständige Ablehnung von Regierungsvorschlägen nicht mehr emstgenommen (oder auch zur Zerstörerin des gemeinsamen politischen Consensus) werde.

Diesem Konzept einer „funktionellen Demokratie“ sind freilich auch gewichtige Einwände entgegenzuhalten: Gerade die österreichische Erfahrung hat gelehrt, daß interfraktionelle Kompromisse („Kuhhändel“) nicht weniger fragwürdig und gefährlich werden können, wenn sie zum System erhoben sind, wie innerfraktionelle. Die Zwangs’koali-

ton lähmt die Diskussionsfreudigkeit und damit die politische Denkbereitschaft der Abgeordneten überhaupt: Man kennt die beschlossene Sache ja im voraus. Schließlich ist auch Opposition in der Regierung möglich — man mag hinzufügen: sogar notwendig —, aber doch wohl auch problematisch. Auch hier wissen wir aus Erfahrung zu schöpfen.

Dennoch: Eine breit angelegte

Grundsatzdebatte zu diesem Grundsatzthema der Demokratie wäre sicher zweckmäßig, vielleicht notwendig. Die Frage ist, ob die gegenwärtigen Umstände für eine solche Generalaussprache in Österreich günstig sind. Die — selbstverständlich anfechtbare — Meinung des Autors: Sie sind es derzeit nicht.

Unabhängig davon ist die Frage zu sehen, ob bei Beibehaltung der gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen die Einparteienregierung in absehbarer Zeit von einer Koalition abgelöst werden könnte, sollte, müßte. Auch da ist eine Klarstellung nötig: Hierfür könnten zwei Gründe maßgebend sein. Der eine wäre der Verlust der absoluten Mehrheit durch die österreichische Volkspartei bei der nächsten Nationalratswahl ohne Eroberung der absoluten Mehrheit durch die SPÖ. In diesem Fall wäre eine

Neuauflage der Koalition kein. Diskussionsgegenstand mehr, sondern eine unerläßliche Notwendigkeit.

Zur Diskussion kann eine Koalition nach der geltenden Bundesverfassung nur aus dem zweiten Grund stehen, nämlich solange, als die Koalition auf Grund der Mehrheitsverhältnisse entbehrlich wäre, auf Grund anderer Umstände jedoch empfehlenswert erschiene. Mit anderen Worten: eine Wiederbelebung der Koalition vor dem nächsten Umengang der österreichischen Wählerschaft.

Schwierigkeiten gemeinsam lösen?

Das also ist das Thema, das in dieser Stunde der Erörterung bedarf. Diese Stunde aber ist gekennzeichnet durch das, was eingangs mit „überdurchschnittlichen Schwierigkeiten“ umschrieben worden ist. Die Ausmaße der gegenwärtigen Konjunkturrezession sind stärker spürbar geworden als je welche seit Abschluß des Staatsvertrages. Dazu kommt die Notwendigkeit, die Integrationspolitik wohl nicht auf ein neues Fernziel umzuorienrfcieren, aber hinsichtlich der Verhandlungsflexibilität der realen Situation anzupassen. Schließlich ist zu bedenken, daß sich in der Südtirolfrage doch die Möglichkeit einer Lösung abzeichnet, die jedoch Gefahr läuft, nunmehr Opfer der neuen parteipolitischen Konstellation in Österreich zu werden. Wäre das alles nicht ein Grund, die Verbreiterung der Regierungsbasis ins Auge zu fassen, um von ihr aus gemeinsam an eine Lösung der wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten, an die Erarbeitung eines modifizierten integrationspolitischen Konzeptes und an eine parteipolitische Neutralisierung des Südtirolproblems in Österreich zu schreiten?

Nicht die Brücken abbrechen!

Wenn sich der Analyse auch noch die — wieder subjektive, anfechtbare

— Prognose des Autors zugesellen soll, dann lautet diese: Es wird vor 1970 zu keiner Erweiterung der gegenwärtigen Regierungsbasis kommen, und nichts berechtigt uns im

Augenblick dazu, das für eine Katastrophe zu halten.

Zu prophezeien, ob 1970 die ÖVP wieder eine absolute Mehrheit erhalten wird, ist heute zweifellos verfrüht. Die potentielle Chance ist nicht zu leugnen. Zu behaupten, daß die Wahrscheinlichkeit hierfür derzeit groß erschiene, wäre freilich ebenso verwegen wie die Vermutung, das nächste Mal könnte die SPÖ auf Anhieb eine absolute Mehrheit schaffen. Das heißt aber: Eine durch das nächste Wahlergebnis erzwungene neue Koalition muß unter den gegenwärtigen Verhältnissen als hohe Wahrscheinlichkeit veranschlagt werden.

Das heißt aber auch, daß politische Diskussionen und Entscheidungen schon heute von diesem Gesichtspunkt mit beeinflußt werden sollten. Es darf keinen Abbruch der „letzten Brücken“ geben. Der Zerstörung menschlicher Kontakte zwischen den Parteien ist entgegenzuwirken. Die jetzige Situation bringt es vom System her mit sich, daß Trennendes herausgestellt wird: Man sollte keine Gelegenheit versäumen, an das Gemeinsame zu erinnern.

Daß eine künftige Koalition formal anders praktiziert werden müßte, als es der Handhabung der Koalition von 1945 bis 1966 entsprach, dürfte ziemlich außer Streit stehen. Man sollte also beizeiten darangehen, über mögliche neue Formen einer Regierungszusammenarbeit nachzudenken. Auch dafür hat Kreisky jüngst manches Rohmaterial geliefert, indem er zum Beispiel einer Lockerung des Klubzwangs und einem „Durchziehen der Ministerverantwortlichkeit auf parlamentarische Ebene“ das Wort redete. Solche Vorschläge sollten nicht echolos bleiben. Alternativempfehlungen der Regierungspartei sind nicht verboten, sondern vielmehr erwünscht.

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