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Zwischen den Polen in Frankreich

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Die französischen Wahlen des Juni 1951 wurden in der Weltöffentlichkeit nahezu mit derselben Spannung erwartet wie die berühmten italienischen Wahlen des Jahres 1948. Die Kreditfähigkeit des freien Europa wird, darüber sind sich alle Beteiligten klar, nach ihrem Ergebnis taxiert... Dieses Ergebnis läßt nun, das muß offen ausgesprochen werden, für die Zukunft fast alle Möglichkeiten noch offen.

Die Handhabung einer überaus komplizierten Wahl- beziehungsweise Wahlverrechnungsmaschinerie hat es ermöglicht, daß nunmehr ein antikommunistischer Block von über 500 Deputierten den 104 kommunistischen Abgeordneten gegenübersteht.. Wie problematisch dieser durchaus nicht einheitliche „Block“ gewertet werden muß, geht allein schon aus der Tatsache hervor, daß die Sozialisten (SFIO), die nebenbei 600.000 Stimmen verloren, mit ihren zweieinhalb Millionen Wählern genau so viele Abgeordnete erhielten wie die Kommunisten mit. ihren fünf Millionen Wählern.

Das ist überhaupt eine schwerwiegende, nicht zu übersehende Tatsache: die Kommunistische Partei hat, trotz des Verlustes einer halben Million Stimmen, ihre Kader geschlossen halten können. Sehr viel wirkte in dieser letzten Zeit mit, ihre Popularität zu mindern: die steigende Unpopularität ihrer Streiks, in Verbindung damit die Schwächung des von ihr geführten Gewerkschaftsbundes (CGT), der sich gegen die Koalition der nichtkommunistischen Gewerkschaften (CFTC und CFT-FO) nicht behaupten konnte. Trotz einer riesigen Wahlpropaganda hat die Kommunistische Partei so fühlbare Verluste in allen Sektoren von Paris erlitten. Eine ihrer größten Hoffnungen, die Landarbeiter (vergleiche auch Italien!), von vielen Außenstehenden als leichteste Beute des Kommunismus erachtet, hat „versagt“. So mußte die KP Frankreichs Verlustein allen ländlichen Bezirken Frankreichs buchen. Die in letzter Zeit sehr intensivierte Arbeit der Katholischen Landjugend (JAC) beginnt hier Früchte zu tragen. — Das Gesicht der Partei hat zudem durch manche „unpatriotische“ Manifestationen in der französischen Öffentlichkeit gelitten, die den nationalen Nimbus, den sie sich überaus geschickt nach 1944 erworben hatte, lädierte. Nicht zuletzt war es die Kommandierung ihres Führers Thorez zum Befehlsempfang nach Moskau, die die nationale Empfindsamkeit verletzte. — Gerade hier aber zeigt sich nun die beachtliche Widerstandskraft des kommunistischen Blocks sogar gegen diese nationale Unpopularität: Die Gründer einer moskaufreien unabhängigen kommunistischen Partei endete bei der Wahl mit einem Fiasko — diese Partei brachte es nur auf wenige tausend Stimmen und erhielt keinen Deputierten.

Als zahlenmäßig zweitstärkste „Partei“ ging die „Sammlung des französischen Volkes“, die Bewegung De Gaulies, als Sieger hervor — im Parlament hält sie mit 114 Sitzen sogar die Spitze. Ein Sieger, noch Im Zwielicht. Ihre mehr als

vier Millionen Stimmen verdankt er zum guten Teil dem MRP, der an die drei Millionen Stimmen abgeben mußte. Da* aber bedeutet auch: De Gaulles Parlamentsgruppe stützt sich in ihren Wählern auf die fluktuierende Masse des mittleren Bürgertums, dazu auf Teile der Armee (und das trotz einer auf dem Papier sehr revolutionär aussehenden sozialen Doktrin). Sicherlich spielten bei dem Sieg der Gaullisten auch gewisse außenpolitische Erwägungen eine Rolle. Ein Großteil der Wähler De Gaulles plädierten damit zwar nicht gegen den Marshall-Plan — diese große Scheidewand zwischen Kommunisten und Nicht-kommunisten —, wohl aber für eine stärker pro-französisdie Fassung desselben, für eine stärlftre Haltung Frankreichs, auch den amerikanischen Wün-

sehen gegenüber. Nicht uninteressant in diesem Zusammenhang ist es, daß die politischen Theorien des Generals De Gaulle sich immer stärker nach den Grundgedanken der amerikanischen Präsidentschaftsdemokratie hin ausrichten. Viel beachtet wurde, daß der Schuman-Plan mit seinem Kohle-Eisen-Pool immer noch ein heißes Eisen in der französischen Innenpolitik, in der Wahlagitation stark zurücktrat; zu sehr sind die Parteileitungen und Sekretariate, auch die der nichtkommunistischen Gewerkschaften, innerlich zerspalten in ihrer Stellungnahme zu ihm.

Die alten Parteien der republikanischen und demokratischen Mitte, der .Dritten Kraft“, haben sich, nicht zuletzt freilich durch ihre Wahlbündnisse und Listenkopplungen, erstaunlich gut gehalten. Als Opfer blieb allein das MRP auf der Strecke. 2,9 Millionen Stimmen Verlustel Bs gab nicht wenige aufmerksame Beobachter, die dieser Sammlung sehr disparater Elemente noch größere Verluste prophezeit hatten. Die Masse der Partei besteht aus Kleinbürgern und .Mittelstand“: Die progressiv vorschreitende Minderung des Lebensstandards dieser Kreise hat sie, ebenso wie ihr nationales Sentiment, vielfach zu De Gaulle getrieben. Unter diesen Umständen muß das Halten von 2,200.000 Stimmen als beachtenswert im Sinne einer inneren Stabilisierung anerkannt werden, wobei unbedingt erwähnt werden muß, daß das MRP teilweise schwer durch das merkwürdige Wahlsystem benachteiligt wurde. Mit seinen über zwei Millionen Stimmen erhielt es bloß 81 Deputierte, während die eineinhalb Millionen Wähler der Samm-

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