Stein gewordene Geschichte

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Der Fotograf Robert Bouchal und Domarchivar Reinhard H. Gruber haben einen exzeptionellen Band über den "Steffl" gestaltet.

Er wurde noch romanisch gebaut, als anderswo in Europa die Gotik schon längst auf dem Vormarsch war. Als die Gotik bei ihm angekommen war, gab es südlich der Alpen längst die Renaissance. Und was das Alter betrifft, tappt man überhaupt im Dunkeln: Grabungen im Jahr 1996 stützen die Vermutung, dass unter der romanischen Stephanskirche bereits eine frühere Kapelle gelegen war; 2000/2001 grub man im Innern des Domes - und seitdem weiß man, dass sich wohl schon in der spätrömischen Ära beziehungsweise zur Völkerwanderungszeit ein Friedhof und daher wahrscheinlich auch ein christliches Heiligtum an der Stelle des heutigen Stephansdoms befunden hat.

Atemberaubende Blicke

Der Dom - er kann mit Fug und Recht als "Stein gewordene Geschichte" Österreichs, sowohl in geistlicher als auch in "weltlicher" Hinsicht, gelten. Ein Mosaik aus archäologischen, architektonischen, religiösen, spirituellen und auch politischen Steinchen trägt Reinhard H. Gruber, der Domarchivar von St. Stephan, im Bildband "Der Stephansdom. Monumente des Glaubens - Stein gewordene Geschichte" zusammen. Der Fotograf Robert Bouchal hat dazu das Wahrzeichen Wiens in und aus allen möglichen Lagen fotografiert und atemberaubende Blicke auf die Kathedrale möglich gemacht.

Viele Details aus Kunst- und Kirchengeschichte, den politischen Umständen und aus dem Legendenschatz rund um den Dom hat Gruber kompakt und lesbar zusammengefasst. Etwa, dass schon die romanische Pfarrkirche, die 1137 begonnen wurde und an deren Stelle der heutige gotische Dom steht, nicht gen Osten, sondern nach Südosten ausgerichtet ist: Bei Sonnenaufgang am 26. Dezember des Jahres 1137, des Festes von Kirchenpatron Stephanus, fiel der Sonnenstrahl genau durchs Mittelfenster hinter dem Hochaltar. Mit solchen im Buch gesammelten Einzelheiten kann - und wird! - man den Dom mit anderen Augen betreten und sehen.

Mit andern Augen sehen

Ein - im guten Sinn - Sammelsurium ist diese erste Kirche Österreichs: Architektonisch zwar eindeutig der Gotik zugeordnet, dennoch aber ein Konglomerat der Stile, von der romanischen Westfassade bis zu den Neubauten nach der Zerstörung des Doms in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945.

Man erfährt auch aus der Praxis der Kirchenverwaltung, etwa, dass es lange Zeit bürgerliche - und nicht geistliche! - Kirchenmeister waren, die den Dom verwaltet haben. Eigentümer - ein juristisches Schmankerl? - ist laut Grundbuch die "Metropolitan-, Dom- und Pfarrkirche zu St. Stephan" - der Dom ist somit eine eigene Rechtspersönlichkeit, er gehört, so Domarchivar Gruber, "also sich selbst".

Auch dass bis 1956 in der Türmerstube des 136,44 Meter hohen Südturms (der ruht übrigens auf bloß dreieinhalb Meter tiefen Fundamenten - was für eine Statik!) eine Feuerwache anwesend war, um Wien auf Anzeichen von Bränden zu kontrollieren, erfährt man da. Beim - unvollendeten - Nordturm, in dem die Pummerin hängt, wartete man gar 17 Jahre, damit sich die Fundamente stabilisieren.

Pilgram - echt und unsicher

In ähnlicher Weise nähert sich Gruber - und mit ihm der Leser - den Toren, dem Innenraum, den zahlreichen Chören und Kapellen, den Katakomben und anderen Begräbnisstätten. Natürlich fehlt auch die Pilgram-Kanzel (um 1500) nicht, wobei Gruber darauf hinweist, dass nicht sicher ist, ob es sich beim weltberühmten "Fenstergucker" wirklich ums Abbild Pilgrams handelt - ein echtes Pilgramporträt gibt es im Dom aber beim Orgelfuß.

Auch der Geschichte des Dombrandes spürt Gruber nach: Laut seinen Recherchen waren es Plünderer, die in jenen Apriltagen des Jahres 1945 umliegende Häuser in Brand steckten, das Feuer griff auf den Dom über, der nicht adäquat brandgesicherte Dachstuhl und die fehlenden Löschmöglichkeiten führten zum großen Feuer, das weite Teile des Doms zerstörte.

Bilder, die entsprechen

Gruber nähert sich dem "Steffl" aber nicht nur geschichtlich, sondern auch theologisch-spirituell. Und dazu Robert Bouchals entsprechen Bilder, die etwa Blicke in die Katakomben möglich macht, die man als normaler Besucher kaum zu Gesicht bekommt.

Bouchal beschreibt am Ende dieses wirklich gelungenen Bildbandes, wie er an Kränen hängend oder in unmögliche Höhen kraxelnd die Aufnahmen dieses österreichischen Paradebauwerks gemacht hat. Klar ist: Auch die Mühe des Fotografen hat sich mehr als gelohnt.

DER STEPHANSDOM Monument des Glaubens - Stein gewordene Geschichte

Von Robert Bouchal (Fotos) und Reinhard H. Gruber (Text). Pichler Verlag, Wien 2005. 192 Seiten, mit zahlr., meist farbigen Abb. geb., e 29,90

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