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Ein Schriftenfund am Toten Meere

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Inmitten des Stiefbruderkriages in Palästina brachte der Zufall einen literarischen Schatz zutage. Nach dem Befunde von Fachgelehrten ist der Welt die älteste Fassung des Jesaias, die ersten hebräischen Texte der Apokryphen und eine Reihe religiöser Hymnen aus der Zeit Christi neu geschenkt worden.

Vor ein paar Monaten entdeckten Beduinen eine antike „Genisah” in einer Höhle der Wildnis von Judea, nahe dem Nordende des Toten Meeres. „Genisah” ist die hebräische Bezeichnung für eine Begräbnisstätte religiöser Schriften, die zum synagogalen Gebrauch unverwendbar geworden waren. Strenge Vorschriften regeln die Bestattung dieser Rollen und Bücher mit einer Förmlichkeit, die dem Grabritus der Orthodoxen ähnlich ist. Seit jeher bildeten die „Genisahs” alter Synagogen eine Fundgrube biblischer Forschung. Nie vorher aber ist eine „Genisah” entdeckt worden, die über das neunte Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurückgereicht hätte.

Die neuentdeckte Grabstätte enthielt eine Anzahl von Tonamphoren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, die mit antiken Schriftrollen gefüllt waren. Diese Rollen bestanden aus ganz dünnem Hirschleder, waren mumienartig in Leinen verpackt und mit Erdwachs überzogen. Die Begleitumstände des Fundes scheinen eine Wiederholung jenes sensationellen Schwindels auszuschließen, der mit der „Entdeckung” eines falschen Deuteronomiums in. Moah biblische Manuskriptfunde auf Jahrzehnte diskreditierte.

Wie es für archäologische Zufallsentdeckungen in Syrien typisch ist, wurde auch dieser Fund von den Beduinen verteilt, um einen besseren Preis zu erzielen. Etwa die Hälfte des Fundes gelangte in den Besitz der jüdischen Universität Jerusalem.

Den Großteil des Restes erwarb der jakobi- rische Bischof in Jerusalem, während einzelne Rollen von einem antiquarisch interessierten Mitglied dieser Gemeinde erworben wurden. Professor S u k e n i k, der Archäologe der Universität, erkannte, daß es sich um Manuskripte handelte, die der Periode vor der Zerstörung des zweiten Tempels angehörten. Es gelang ihm, obwohl die Unruhen bereits ausgebrochen waren, mit den Erwerbern des .restlichen Fundes in Verbindung zu treten. Und nun geschah etwas, das in dem Grauen dieses neuen Kampfes um Jerusalem fast rührend anmutet: die Jakobiten anerkannten das überlegene Wissen des jüdischen Gelehrten und schmuggelten ihre Rollen durch die Drahtverhaue der feindlichen Stellungen in das Studio des Forschers. Glücklicher als viele seiner Vorgänger, gerade im Heiligen Lande, war Professor Sukenik in der Lage, den vollständigen Fund einer vorläufigen Untersuchung zu unterwerfen.

Nun ist der Großteil der uralten Rollen wieder geöffnet, was eine Operation von höchster Delikatesse war. Nach dem Befund enthalte eine von ihnen das Buch des Jesaias in einer Fassung, die älter als der masoretische Text sei und von ihm in verschiedenen Einzelheiten abweiche. Andere Rollen bringen mehrere apokryphe Texte, die bisher nur in der Fassung der „Septua- gints” bekannt waren, eine eine Reihe von Hymnen, die völlig neu sind. Die Sprache der Manuskripte ist reines Hebräisch. Die Schrift ist diie Quadratenschrift der kleinen Knochensarge der Epoche.

Der Fund in einer Bergwüste, die niemals besiedelt war, bringt die Vermutung nahe, daß dieses Schriftengrab zu einer Synagoge jener Essener gehört hat, ehe als Vorläufer der christlichen Asketen die öden Hänge des Jordantales bewohnten.

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