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Streit um Qumran-Rollen

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Der Bestseller „Verschlußsache Jesus" (er behauptet, einzelne Qumran-Texte würden bewußt verheimlicht) stößt in der internationalen Fachwelt auf heftigen Widerspruch.

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Der Bestseller „Verschlußsache Jesus" (er behauptet, einzelne Qumran-Texte würden bewußt verheimlicht) stößt in der internationalen Fachwelt auf heftigen Widerspruch.

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Unter dem Titel „Das Abenteuer von Qumran" wurden schon in den fünfziger Jahren Auffindung, Ankauf und Entzifferung der ersten Schriftrollen vom Westufer des Toten Meeres in Israel beschrieben. Die explodierende Geschäftstüchtigkeit der Beduinen der judäischen Wüste und ihrer Verbindungsleute zu den wissenschaftlichen Institutionen sorgte für abenteuerliche Zustände. Seitdem sich aber bedeutende Museen und Universitäten dieser Rollen angenommen haben, hielt man die für wissenschaftliche Erarbeitung notwendige Ruhe für gegeben. In den 45 Jahren seit damals sind laut Auskunft von Professor Heinz Josef Fabry, Universität Bonn, zwar mehr als zwei Drittel der damals gefundenen Texte publiziert worden, aber der unveröffentlichte Rest ist Gegenstand der Kritik und der Spekulation.

So wurde behauptet, daß Jesus aus der Gemeinschaft kam, die die Schriften produziert hatte. Wenn schon nicht Jesus, dann Johannes der Täufer, dessen Anhänger Jesus zeitweise war. Ein griechisches Qumranfragment -das achtzehn Buchstaben umfaßt, von denen nur neun sicher lesbar sind -soll ein Stück des Markus-Evangeliums sein. Andere sehen neuerdings das palästinische Judenchristentum hinter den Texten.

Was all diese Thesen gemein haben ist der direkte Bezug, der zwischen Qumran und dem frühen Christentum hergestellt wird. Die große räumliche und zeitliche Nähe weckt die Erwartung, neue Aufschlüsse über den Anfang des Christentums zu erhalten. Von Anfang an war der Keim für ein Ärgernis gelegt, insofern mit der Veröffentlichung der Rollen bestimmte Gelehrte (meistens katholische) beauftragt wurden, die zugleich ein AHeinveröffentlichungsrecht zugesprochen bekamen. Der häufig geäußerte Unmut über die schleppende Publikationsarbeit an den Schriftrollen vom Toten Meer wird immer wieder als eine verdeckte Taktik deklariert.

Bei all diesem Wirrwarr verwundert es nicht, wenn wüste Spekulationen ins Kraut schießen. Die immer schon latent vorhandene Vermutung, die offiziellen Bearbeiter hätten die Publikation der Texte absichtlich verzögert, weil sie nur so Tatsachen verbergen können, die für die großen Religionsgemeinschaften der Juden und Christen peinlich oder sogar tödlich sein könnten, nährt sich neuerdings aus dem tatsächlich beobachtbaren Faktum, daß manche neu publizierte Qumrantexte fast Texte aus dem neuen Testament sein könnten.

Diese These ist - wie Fabry in einem Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen betonte - Hauptbestandteil und Ziel vorgäbe für ein Horrorszenario in dem Buch der beiden Journalisten Michael Baigent und Richard Leigh: „Verschlußsache Jesus. Die Qumran-rollen und die Wahrheit über das frühe Christentum". Das Buch, seit Monaten auf der internationalen Bestsellerliste, basiert auf mehreren Prämissen, die im Buch nicht bewiesen werden, und solchen, die nicht bewiesen werden können. Schon in den fünfziger Jahren tauchte die Meinung auf, von den Bearbeitern würden wichtige Schriften zurückgehalten, weil hiereine Gefahr für das Christentum in Verzug sei.

Die Hauptthesen des Buches von Michael Baigent und Richard Leigh lauten:

1. Da man sich vernünftigerweise nicht erklären kann, wie solch wichtige archäologische Zeugnisse über nahezu ein halbes Jahrhundert nicht zur Publikation gelangen, muß man dahintereine gezielte Verhinderungsarbeit sehen. Die Autoren machen niemanden geringeren als die Römische Glaubenskongregation unter Joseph Kardinal Ratzinger für die Verzögerung verantwortlich.

2. Da die Gruppe der mit der Herausgabe Betrauten von Anfang an aus Katholiken, vornehmlich aus Dominikanerpatres der Ecöle Biblique, Jerusalem, bestand, ist der römische Einflußkanal von Anfang an erwiesen.

3. In den Fragmenten der Schriftrollen sind Texte enthalten, die den Glauben an die Exklusivität Jesu entscheidend erschüttern würden.

Vor kurzem stellte einer der bedeutendsten Qumranforscher und Kenner der Fragmente, Shemaryahu Tal-mon, in der Katholischen Akademie in Bayern, München, vor großem Publikum lapidar fest: „Ein solches Buch kann meiner Ansicht nach - und ich spreche hier als überzeugter Jude -dem Christentum nichts anhaben. Es wird sich bald herausstellen, daß das Buch .Verschlußsache Jesus' eine Seifenblase ist, die zerplatzen wird. Bei allem Unsinn hat das Buch doch einen Wert, der den Verfassern als verkaufsfördernder Katalysator in den Schoß gefallen ist: Sein Erscheinen steht ungewollt in einem zeitlichen Zusammenhang damit, daß die harte Kärrnerarbeit der Qumranforschung ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten ist. Der fragmentarische Zustand der Texte und die Schwierigkeit, sie zu lesen und zu interpretieren, wird jedoch so manchen Manipulierer schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückführen."

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