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Jesus war kein Hippie

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In einem langen Text, der beim Österreichischen Katholischen Bibelwerk (3400 Klosterneuburg, Stiftsplatz 8) erhältlich ist, zerpflückt der angesehene Judaist Kurt Schubert Alfred Worms Jesus-Buch. Hier Auszüge daraus.

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In einem langen Text, der beim Österreichischen Katholischen Bibelwerk (3400 Klosterneuburg, Stiftsplatz 8) erhältlich ist, zerpflückt der angesehene Judaist Kurt Schubert Alfred Worms Jesus-Buch. Hier Auszüge daraus.

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Das Buch des Journalisten Alfred Worm über Jesus ist ein deutlicher Beweis dafür, daß ein „Aufdeckungs-journalist" aufgrund seiner „Recherchen" nicht auch genügend Wissen und sachliche Kompetenz erwerben kann, ein so diffiziles und viel diskutiertes Thema überhaupt anzugehen. Neben richtigen Einsichten, die er sich aufgrund einer sehr dürftigen und fragwürdigen Literaturliste angelesen hat, gibt es eine Unzahl von Sachfehlem, Irrtümern und abstrusen Schlußfolgerungen.

Zunächst zu den richtigen Ansätzen: 1. Die Einleitungsfragen über die Abfassungszeit der Evangelien zwischen circa 70 und circa 100 nach Christus sind richtig. Worm hat damit aber nichts aufgedeckt. Das gehört zu den selbstverständlichen Proseminarkenntnissen, die von jedem Theologiestudenten verlangt werden.

2. Die Zeitgeschichte Jesu - von einigen Fehlem in Details abgesehen

- ist grundsätzlich richtig dargestellt. Das Judentum war kein monolithischer Block, sondern bestand aus einer Vielzahl von Gruppierungen.

3. Die antijüdischen Aussagen im Neuen Testament sind, in ihrer Wirkungsgeschichte tatsächlich eine Vor-aussetzung für das schuldhafte Schweigen der Christen angesichts des Holokaust. Die Täter aber waren von einer Ideologie bestimmt, für die das Christentum selbst aufgrund des Alten Testaments nur ein verlängerter Arm des Judentums war. Daher waren sie bestrebt, die pastorale Arbeit der christlichen Kirchen einzuschränken, ja das Christentum selbst zu bekämpfen...

Auf Seite 23 behauptet Worm, daß in der Wüste Juda „seither 100.000 Schriftrollen" gefunden wurden. Nur wenn man Fragmente als Schriftrollen bezeichnet, kann man zu einer so hohen Zahl kommen. Die gut erhaltenen Rollen wurden alle schon seit den fünfziger Jahren veröffentlicht. Lediglich kleine und kleinste Fragmente, von denen etliche zu ein und der selben Rolle gehören, harren noch der Veröffentlichung. Die von dem Machwerk „Verschlußsache Jesu" übernommene Beschuldigung, daß im Vatikan Qumran-Texte der wissenschaftlichen Forschung entzogen werden, entbehrt jedwedes Wahrheitsgehalts...

Auf Seite 25 heißt es: „Das legendäre Christuswort, wonach man die Feinde lieben und denen Gutes tun soll, die euch hassen, findet sich fast gleichlautend auch in den Schriften der Essener." Dies ist eine hundertprozentige Verdrehung der Tatsachen. Die Lehre der Nächstenliebe stammt aus dem Alten Testament (Lev 19,18) und wurde auch vom pharisäischen Judentum voll akzeptiert. Worm zitiert aber Mt 5,43 f nicht genau. Es heißt: „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und tuet Gutes denen, die euch hassen."

Ein „terrible simplificateur"

Der Feindeshaß gehörte nur in Qumran - und wahrscheinlich auch bei antirömischen Aufstandsgruppen

- zum ideologischen Selbstverständnis der Gemeinde. So heißt es im Sektenkanon (1QS 1,9-11), daß es Pflicht der Gemeindemitglieder sei, „zu lieben alle Söhne des Lichtes, jeden nach seinem Lose im Ratschluß Gottes, und zu hassen alle Söhne der Finsternis, jeden nach seiner Schuld in der Rache Gottes"... Die Rolle „Krieg der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis" ist zur Gänze dieser Thematik gewidmet. Also - im

Gegenteil zu Worms Behauptung -kann Jesu Forderung nach Feindesliebe nie und nimmer aus Qumran-essenischem Hintergrund stammen. Die Qumran-Funde beweisen also nicht schlüssig, wie Worm es auf Seite 36 nahe legt, „daß es eine eigenständige Religion, deren ausschließliche Quelle Jesus Christus ist, nicht gibt".

Gerade in der zitierten Formulierung Worms erweist er sich als terrible simplificateur. Natürlich war der irdische Jesus nicht die „ausschließliche Quelle" des Christentums, wohl aber Ursprung und Voraussetzung für jedwede spätere Entwicklung...

Seite 77 bezeichnet Worm Jesus als „Hippie, der sich von anderen erhalten läßt". Seite 80 fügt er noch Hans Küngs Definition hinzu: Jesus war „alles andere als eine gutbürgerliche Erscheinung". Aber sogenannte „gelungene Formulierungen" werden öfters dem Phänomen nicht ganz gerecht, zumal dann, wenn, wie es bei Worm geschieht, die Texte nicht im Zusammenhang zitiert werden...

Phantasie statt Wissenschaft

Die Schlußfolgerung Worms, daß Jesus wahrscheinlich verheiratet war (Seite 120 fett gedruckt) gehört in den Bereich der Phantasie. Gerade ein Vergleich mit anderen eschatologisch orientierten jüdischen Gruppen des neutestamentlichen Zeitalters macht eine solche Vermutung eher unwahrscheinlich...

Worm wollte mit seinem Buch „Die Wahrheit über den ,wahren' Menschen" bieten. Daher stellte er nicht die Frage nach einer implizierten Christologie, nach einem messiani-schen Selbstverständnis ohne direkte Benutzung des Messias-Titels. Das allein schon bezeugt die Tendenz Worms, deutlicher gesagt den eklatanten Mangel an Wissenschaftlichkeit in diesem Buch...

Die Vereinfachungen und dadurch schiefen Formulierungen Worms erstrecken sich auf fast alle von ihm

angeschnittenen Details. Es ist unmöglich, auf sie alle einzugehen. Es bleibt aber noch ein Themengebiet, das behandelt werden muß: Inwieweit geht der verhängnisvolle Antisemitismus bis auf neutestamentliche Formulierungen zurück?

Da der Rezensent seit 50 Jahren die Bekämpfung des Antisemitismus als sein bedeutendstes politisches Ziel erachtet, kann er nicht umhin, für diesen Aspekt in Worms Buch Sympathie zu empfinden. Und dennoch müssen auch hier die Worm'schen Thesen modifiziert und das von ihm verwertete Material kritisch gesichtet werden...

Heute werden alle von Worm beanstandeten Stellen nicht mehr so gedeutet, daß sie ein antisemitisches Vorurteil bestätigen könnten. Worm scheint diesbezüglich eine Entwicklung übersehen zu haben, die seit den dreißiger Jahren als Reaktion auf den Nationalsozialismus festzustellen ist... Antisemitismus kann sich in keiner Kirche mehr auf das Neue Testament berufen.

Wir Christen müssen ein hohes Maß an Mitschuld bekennen, daß der nationalsozialistische Massenmord überhaupt möglich wurde. Aber gleichzeitig dürfen die Ansätze für eine Überwindung des sogenannten christlichen Antisemitismus nicht übersehen werden...

Trotz aller Sympathien für Worms Einsatz gegen den Antisemitismus muß das Buch als Ganzes abgelehnt werden. Recherchen eines Journalisten können auch dann nicht emsthafte wissenschaftliche Forschung nach Jahren ersetzen, wenn die Vorurteile des Verfassers von anderen ebenso Unkundigen geteilt werden.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Judai-stik an der Universität Wien und Präsident des Österreichischen Katholischen Bibelwerks.

JESUS CHRISTUS -DIE WAHRHEIT ÜBER DEN .WAHREN' MENSCHEN. Von Alfred Worm. Edition Va Bene, Wien 1992. 222 Seiten.

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