Echt - und doch gefälscht?

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Man muss nicht jeder wissenschaftlichen Jubelmeldung trauen. Ein Beispiel rund ums Judasevangelium zeigt, dass etwas schnell zur "Sensation“ wird, wenn man es mit dem Wort "Bibel“ schmücken kann.

Finanziert von der National Geographic Society haben Chemiker die Tinte untersucht, mit der die 2006 veröffentlichte Handschrift mit Text des Judasevangeliums geschrieben wurde.Auf der Homepage der "American Chemical Society“ wurde in der Folge am 8. April 2013 bekannt gegeben, dass die chemische Untersuchung "einen kontroversen Bibeltext für echt“ erkläre. Dieser stamme nach der chemischen Untersuchung aus der Zeit um 280 n.Chr.

Wer allerdings auch nur ein einziges Mal Bilder der Handschrift gesehen und den koptischen Text gelesen hat - es ist anzunehmen, dass die besagten Chemiker dies nicht getan haben -, dem wäre nie eingefallen, den Text für "unecht“ zu erklären. Die Forschung war sich eigentlich schon bisher einig, dass der Text gegen Ende des dritten oder in die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts zu datieren sei. Allerdings wird bei dieser Meldung nicht nur ein Text datiert, sondern dieser auch identifiziert: Und dass es sich um einen "Bibeltext“ handelt, das darf und muss vehement bestritten werden.

Problemfeld Auftragsforschung

Auftragsforschung steht im Verdacht, Ergebnisse im Interesse eines bestimmten Auftraggebers zu erzielen. Dieser Verdacht scheint sich im vorliegenden Fall zu erhärten. Es wäre keinem Wissenschafter je eingefallen, diesen sprachlich anspruchsvollen Text für eine moderne Fälschung zu halten. Wissenschafter diskutieren noch immer über die Bedeutung einzelner Phrasen und Wendungen, und wiederholt zeigt sich, dass der Verfasser des Textes die koptische Sprache besser beherrschte als selbst die herausragendsten Vertreter der modernen Koptologie. Seit der Veröffentlichung des Textes wurden aus philologischen Gründen zahlreiche Präzisierungen und Verbesserungen des Textes vorgeschlagen, sprachliche Fehler wurden jedoch nicht identifiziert. Anzunehmen, ein derartiger Text könnte eine moderne Fälschung sein, ist ähnlich abstrus wie die Vermutung, dass die Erde eine Scheibe ist.

Die Feststellung der "historischen Echtheit“ eines Textes hat jedoch nur eine begrenzte Aussagekraft. Einmal in die Zukunft geblickt: Wenn Historiker in zweitausend Jahren die Originalmanuskripte der "Tagebücher Hitlers“, deren "Entdeckung“ vor 30 Jahren eine große Blamage und ein millionenschweres Desaster für den Stern darstellte, in einem Archiv fänden, dann sind diese Texte selbstverständlich "echte“ "historische“ Objekte - "echt“ sind sie deswegen noch lange nicht.

Bei dem Judasevangelium handelt es sich um einen Text, der in die Zeit der frühen Kirche gehört und auf bekannte Evangelien reagiert. Der Text wurde von einer unbekannten Person verfasst und dem sprichwörtlichen "Verräter“ Judas literarisch als "sein“ Evangelium untergeschoben - es ist also eine literarische Fälschung. Der vermeintliche Autor eines Textes bürgt für Qualität. Was heißt das also, wenn ein Text einer Person zugeschrieben wird, die - egal zu welcher Zeit - in kirchlichen Kreisen ein schlechtes Ansehen genoss? Doch wohl nur, dass alle, welche diesen Text lesen, den Vertretern der Kirche misstrauen sollen. Und eben das kommt auch in der Erzählung zum Ausdruck, welche die Lehrinhalte des Judasevangeliums einrahmt. Jesus verlacht höhnisch die Jünger, da sie ihn und seine Lehre nicht verstehen. Die Apostel reagieren mit Blasphemien - dies steht so(!) im Text. Ist das ein "Evangelium“? Oder eine Verfälschung dessen, was wir als Evangelium bezeichnen?

Gründe für die Echtheit

Es ist ein Topos der Ketzerpolemik, dass der Gegner vom rechten Glauben abgewichen sei. Es ist aber selbst für eine Ketzerpolemik ein starkes Stück, sich als Garanten der eigenen Lehre eine Person wie Judas zu suchen. Ebenso gut könnte man Iwan den Schrecklichen zur Galionsfigur einer humanitären Gesellschaft oder zum mythischen Gründungsvater einer demokratischen Partei machen. Der Name ist in diesem Fall wohl wirklich Programm.

Neben der Tatsache, dass es ein unzweifelhaft authentisches Sprachdokument ist, sprechen auch inhaltliche Gründe für die historische Echtheit. Aus kirchlicher Ketzerpolemik ist die Existenz eines Judasevangeliums gegen Ende des zweiten Jahrhunderts bezeugt. Der Inhalt entspricht dem, was aus den Quellen bekannt ist.

Allfällige Verschwörungstheoretiker könnten behaupten, der Text sei von der Kirche unterdrückt worden. Um Texte zu unterdrücken, müsste man sie erst einmal haben. Historiker schätzen, dass die junge Christenheit gegen Ende des zweiten Jahrhunderts etwa 100.000 Anhänger hatte. Das wären bei den 60 Millionen Einwohnern des Römischen Reiches zu dieser Zeit gerade einmal rund 0,17 Prozent der Bevölkerung. Für Kontrolle und Zensur braucht es Macht und Personal. Wie soll eine derart kleine Gruppierung eine lückenlose Zensur ausgeübt haben können?

Dass über das Judasevangelium sehr lange nur Gerüchte kursierten und bis heute eine einzige Handschrift bekannt geworden ist, hat andere Gründe. Eine Lehre, die sich auf den "Verräter“ Judas berief, wollte unzufriedene Christen ansprechen. So etwas gab es anscheinend bereits in den ersten Jahrhunderten. Dass so wenig über sie bekannt ist, spricht dafür, dass diese Lehre nur wenige Anhänger fand. Und damit sind Lehre und Dokumente in einer Zeit auch wieder verschwunden, in der es der Kirche gar nicht möglich gewesen wäre, die Texte zu unterdrücken.

Was bringt es also, einen Text mit "naturwissenschaftlichen Methoden“ für "historisch echt“ zu erklären, an dessen Historizität kein Historiker je gezweifelt hat? Es bringt Quote und Geld! Der Text ist zweifelsohne "historisch“, doch gerade die provokante Meldung der Chemikervereinigung, dass ein "kontroverser Bibeltext für echt erklärt worden sei“, verkehrt die Erkenntnis ins Gegenteil. Hier wird die "historische Echtheit“ - im Gegensatz zur modernen Fälschung - des Papyrusbuches mit einer Deutung des Objekts in seinem historischen Kontext verwechselt. Dass uns jedoch ein Text, nur weil eine Splittergruppe in der Antike diesen als "Evangelium des Judas“ bezeichnete, als "Bibeltext“ verkauft wird, ist eine Verfälschung der historischen Bedeutung des Textes.

Der Autor ist Leiter mehrerer Forschungsprojekte des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) an der Universität Wien

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