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Kunstgeschichte auf politischer Basis

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Das Glas und die Jahrtausende. Von Jaroslav R. V a v r a. Artia, Prag. 240 Seiten Text, 603 Abbildungen, davon 430 in Tiefdruck und 32 in farbigem Offset (Format 25 X 35 cm). Preis 280 S

Das monumentale Werk mit seiner üppigen Bildausstattung bildet eine großangelegte Werbung für böhmisches Glas, die in eine Geschichte der Glasbereitung und -bearbeitung eingebaut ist. Weit ausholend, aber in unklarer Gliederung, schildert der Verfasser die Entwicklung der Kunstglaserzeugung von ihren ersten bisher erkannten Anfängen in Aegypten und Vorderasien bis zu ihren Höhepunkten im römischen und byzantinischen Imperium sowie in Venedig; die anschließende Darstellung der mittelalterlichen Glaskunst des europäischen Festlandes ist

dagegen äußerst dürftig. Was Vavra über die einschlägigen Leistungen des deutschen Volkes auf kaum einer halben Seite schreibt, ist weniger als eine Andeutung; dies mag um so mehr auffallen, als man an anderen Stellen des gleichen Buches lesen kann, daß deutsche Glaskünstler und Glasmaler nach Florenz und nach England berufen wurden, und als man allgemein weiß, welche beherrschende Stellung solche Kunsthandwerker während des späten Mittelalters im ganzen deutschen Osten, in Skandinavien, Norditalien und Spanien innehatten. Ein Werk, wie

zum Beispiel H. Wentzel, Meisterwerke der Glasmalerei, Berlin 1954, Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, dürfte dem Verfasser unbekannt geblieben sein.

Auf diesem Teilgebiete scheinen die Kenntnisse des Verfassers nur ungefähre zu sein; sonst bliebe es unerklärlich, weshalb er konsequent Namen italienischer und deutscher Kunststätten mißversteht, zum Beispiel das Glasmacherzentrum Altare in der Markgrafschaft Monferrato mit „Altar“ verwechselt (S. 95) oder das wohlbekannte oberbayrische Benediktinerstift Tegernsee, in dem während des 12. Jahrhunderts die Glasmalerei eine Heimstätte fand, als „Egernsee“ verballhornt (S. 83). Verständlich, wenn auch die prachtvollen, für Böhmen vorbildlichen deutschen Ziergläser des späten 16. und des 17. Jahrhunderts im Buche fast ohne Erwähnung bleiben.

Dafür bildet „Der Sieg des böhmischen Glases“ in ausführlicher Breite das Kernstück des Buches. Daß die Tradition böhmischer Glaskunst sich vielleicht zum Teil von der mittelalterlichen Bearbeitung von Bergkristall ableiten läßt, wird uns in einem längeren Exkurs nahegebracht; daß aber italienische, speziell aus Murano stammende und nach Böhmen berufene Meister wesentliche Anregungen brachten, wird mir knapp angedeutet. Daß endlich die Entfaltung der Weltgeltung böhmischer Gläser fast restlos auf dem Ingenium und dem fanatischen Arbeitswillen deutscher und sudetendeutscher Kunsthandwerker beruht, leuchtet als unverhüllbare Wahrheit auch aus diesem Buche hervor. — Wenn allerdings die letzteren von Vavra als „deutsche Kolonisten“ be-

zeichnet werden (S. 7), so sehen wir hier noch den gleichen Ungeist walten, der für die Austreibung der Sudetendeutschen von 1945 die Verantwortung trägt. In dem gleichen Zerrspiegel erscheint die Habsburgermonarchie als „ein halborientalischer Agrarstaat“ (S. 8); nur auf dieser Stufe der Erkenntnis kann man von dem mittelalterlichen Europa als „dem schwerfälligen, von der kirchlichen Diktatur dumm gemachten und in Unwissenheit versinkenden Erdteil“ (S. 123) reden ...

Wir haben es bereits im Dritten Reiche erlebt, daß man in halbwissenschaftliche Bücher politische Giftbrocken einstreute. Die freie Welt aber trennt eindeutig Forschung und Politik; wir lehnen ihre Vermengung ab.

Heinrich Decker

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König Ottokar Glück und Ende. .Von Franz Grillparzer. Bergland-Verlag, Wien. XX und 144 Seiten.

In der wertvollen, vorzüglich ausgestatteten kleinen Oesterreich-Reihe des Bergland-Verlages hat Kurt S k a 1 n i k, einer ihrer drei Herausgeber, das zeitüberhöhende Geschichtsdrama Grillparzers, jenes Trauerspiel, mit dem sehr passend das Burgtheater wiedereröffnet wurde, durch eine ausgezeichnete Einleitung den Lesern nahegebracht, die eben dieser Reihe vor allem zu wünschen sind: der Jugend und den für Schönes und Erhabenes empfänglichen breiten Schichten. Skalnik läßt dabei vordringlich den Dichter selbst sprechen, soweit es sich darum dreht, die Schicksale des Stücks zu berichten. Doch die knappe historische Einführung ist, geschichtliche exakte Wahrheit und poetische Umgestaltung einander gegenüberstellend, samt politischen Ausblicken auf gegenwärtige und unwandelbare Probleme des Donauraumes, — sie ist des Einführers gedrungenes und wohlgeratenes eigenes Werk.

Univ.-Prof. Dr. Otto Forst de Battaglia

Abt Gilbert Helmer. Ein Lebensbild aus unseren Tagen. Von Vinzenz Oskar Ludwig. Mit 30 Abbildungen. Egerland-Verlag, Geislingen. 163 Seiten.

Dreißig Kilometer südlich von Karlsbad, fünfundzwanzig Kilometer östlich von Marienbad und zwei Kilometer von dem im Tepltale liegenden Orte recken sich, zwei Schwurfingern gleich, die Türme der Präinonstratenserabtei über das Hochland. 1197 gegründet von Hroznata von Guttenstein, dessen Grab sich in der Stiftskirche befindet, Mittelpunkt deutscher Kultur und deutschen Geisteslebens in einem geistlichen Land — bis nach Pilsen, an dessen Gymnasium die Prämonstratenser lehrten, wirkend. Ein Abt dieses Ordens, Karl Reitensberger, bekannt, auch durch den Umgang mit Goethe, war der Schöpfer des herrlichen Badeortes Marienbad, und diesem Orte galt auch die stete Sorge des Abtes Dr. h. c. Gilbert Helmer. Der aus einem Egerländer Müllergeschlecht stammende, am 2. länner 1864 geborene und am 4. März 1944 dahingeschiedene 49. Abt von Tepl stand durch 48 Jahre einer geistlichen Körperschaft von 100 Mitgliedern mit 25 Pfarreien, einem ausgedehnten Gutsbesitz und Marienbad selbst vor, dessen Besucherzahl sich während der Amtszeit dieses Abtes verdoppelte — nicht zuletzt dank der vorzüglichen Quellfassungen und Neubauten.

Die Darstellung Ludwigs, mit warmer Liebe, mit Takt, Treue zur Wahrheit und geschichtlichem Weitblicke verfaßt, würdigt den Menschen, den Priester und Vater-Abt, den Politiker, den Volksfreund, den Wirtschaftsfachmann und, nicht zu vergessen, de Gelehrten, dessen Hauptwerk dem Codex Teplensis galt. Vielleicht beleuchtet keine Anekdote besser die Wesensart dieses Mannes, als die Antwort, die er einem Maler gab, als ihn dieser befragte, welche von den Ordenszeichen auf dem Porträt sein sollen: „Keine, ich möchte lediglich mit meinem Brustkreuz gemalt werden “

Es entbehrt nicht tiefer Tragik, daß Tepl und Marienbad durch die tschechoslowakische Boden-

reform und das Bodenamt bedrängt wurden, daß man die Lösung aus dem Staatsverbande im September 1938, begrüßte und drei Jahre darnach den wohlgehegten Besitz „freiwillig“ abtreten mußte. Es wurde Abend ... und als Symbol mag es erscheinen, daß von dem wundervollen Stiftsgeläute nur noch das Sanktusglöckchen blieb. Der blindgewordene Abt

aber rang ungebrochen mit dem dämonischen Geiste der Zeit bis zum Vorabend der Nacht über Böhmen. Der jetzige Abt von Tepl muß das Brot der Fremde, des Exils, essen.

Ludwigs Buch ist ein Dokument der Zeit für alle Zeiten.

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