Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Staiger und die „Schockierten“
DER ZÜRCHER LITERATURSCHOCK. Bericht. Von Erwin Jeckie. Albert-Langen- Georg-Müller-Verlag, München, 1968. 121 Seiten. DM 7.8 .
DER ZÜRCHER LITERATURSCHOCK. Bericht. Von Erwin Jeckie. Albert-Langen- Georg-Müller-Verlag, München, 1968. 121 Seiten. DM 7.8 .
Den Literaturschock — ein viel zu großes Wort — verursachte der bekannte Schweizer Literaturwds- senschaftler Prof. Emil Staiger. Als Dank für die Zuerkennung des Literaturpreises der Stadt Zürich hielt er im Zürcher Schauspielhaus am 17. Dezember 1966 eine Rede „Literatur und Öffentlichkeit“, die wahrlich als „vielbeachtet“ zu bezeichnen ist. Er bekannte sich zur großen Tradition der Literatur, die des sittlichen Willens bedürfe, um „gültig“ zu sein, und wandte sich gegen jene Autoren, „deren Lebensberuf es ist: im Scheußlichen und Gemeinen zu wühlen“, die unter dem Vorwand „wahr“ zu sein, nur das Negative des Lebens darstellen. Sie behaupten, „die Kloake sei ein Bild der wahren Welt“ und spekulieren mit den niederen Instinkten eines gewissen Publikums. — Was Staiger da sagte, war weder aufregend neu noch hatte er selbst solches zum erstenmal ausgesprochen, wie Jaeckle betont. Doch nun, an diesem Ort und bei dieser Gelegenheit vorgebracht, wirkten seine Ausführungen als Provokation, als Stich ins Wespennest. Da er keinen Namen genannt hatte, fühlten sich viele getroffen. Gewiß, manche Formulierungen seiner Rede waren nicht sehr glücklich und geeignet, mißverstanden zu werden — besonders wenn man sie mißverstehen wollte. Autoren und Kritiker nahmen pro und contra Staiger Stellung. Man warf ihm „reaktionäre Gesinnung, mangelndes Verständnis für moderne Literatur und noch manches andere vor; der lebhaften Phantasie der
Gegner waren jedenfalls keine Schranken gesetzt. Berufene und noch mehr Unberufene kamen zu Wort, auf Entgegnungen gab es wieder Entgegnungen, der literarisch Interessierte konnte bald keinen klaren Einblick in die Angelegenheit gewinnen und mußte sich fragen: Wie war es denn eigentlich wirklich?
Erwin Jaeckle hat nun einen Bericht zusammengestellt, der Erhellung bringt. Er enthält die Vorgeschichte der Preisverleihung, den originalen Wortlaut der Rede Stai- gers, die Darstellung ihres Echos mit einer reichen Auswahl von Äußerungen bekannter und weniger bekannter Schriftsteller und Kritiker, versehen mit kurzen Kommentaren, und die Stellungnahme Jaeckles zu den einzelnen Meinungen. Auch die Kritik an Staigers Schiller-Buch wird in den Bericht einbezogen. Jaeckle hat damit die schon 1967 erschienene Zusammenstellung W. Höllerers in verdienstvoller Weise wesentlich erweitert.
Über die ganze Affäre ist inzwischen schon einiges Gras gewachsen, und man mag bezweifeln, ob diese Publikation starken Widerhall finden wird. Jedenfalls ist sie sehr aufschlußreich für die heute im literarischen Leben herrschende Mentalität, den merkwürdigen Konformismus der vorgeblichen Nonkonformisten und die Begriffsverwirrung in der literarischen Wertung. Der rüde Ton mancher Repliken und der Mangel an Achtung vor der Meinung des Anderen sind es, die wirklich schok- kieren.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!