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Pseudostück um Freud

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„A Far Country“ nannte der amerikanische Dramatiker Henry Denker sein Schauspiel, in dem er den jungen Sigmund Freud als ersten in das weite Land der Seele (wie es der — schon früher von Arthur Schnitzler im selben Sinn verwendete — Originaltitel andeutet) aufbrechen läßt. In der französischen Fassung von Pol Quentin „Le Fil rouge“ ist es (symbolhaft) der rote Faden der Ariadne, an dem sich der Erkundende in das Labyrinth der Erinnerungen und der unterbewußten Schuldgefühle vortastet. Ein Freudscher Privatfall (nach authentischen Aufzeichnungen), die Heilung einer unter schweren Lähmungserscheinungen sich äußernden Hysterie wird als ein Stück popu-“ larisierte Psychoanalyse geboten. Die eigentliche Handlung ist als Rückblende (völlig überflüssig) zwischen zwei kurzen Szenen eingebettet, die zeigen, wie der 72jährige 1938 von den Nationalsozialisten als Jude gezwungen wurde, Wien zu verlassen. Ähnlich wie in „Professor Bern-hardi“ (nur nicht im entfernten so dramatisch und überzeugend gestaltet), klingen auch hier gewisse antisemitische Tendenzen an, zeigt sich der Widerstand der Ärzteschaft im Wien vor der Jahrhundertwende gegen die umwälzenden Erkenntnisse Freuds. Über zwei Stunden lang zieht sich der Kampf zwischen dem Arzt und dem gelähmten Mädchen hin, bis es Freud schließlich gelingt, die psychisch bedingte Krankheit durch seine Methode zu überwinden. Etwas abrupt wirft die Geheilte am Ende die Krücken weg.

Das routiniert gemachte Stück haftet am Oberflächlichen, denn das Wissen vom Menschen kommt nicht aus der Klinik, nicht vom Sofa der Psychoanalyse. Doch bietet es den Schauspielern einige Möglichkeiten. Dem Regisseur Raymond Rouleau stand ein sehr gutes Ensemble zur Verfügung, von dem wenigstens Curd Jürgens als von quälenden Selbstzweifeln, aber auch von der Uberzeugung des richtigen Weges besessener Forscher und Monique Lejeune als die in hysterischer Verkrampfung befangene und schließlich davon befreite Elisabeth von Ritter besonders genannt seien. Bis auf die allzu reißerisch ausgespielte Szene, in der er mit allen Mitteln der Kranken ihr unterbewußtes Geheimnis entreißen will, erweist sich Jürgens als der große Bühnenschauspieler, dessen Leistungen im Akademietheater unter Berthold Viertel u. a. noch unvergessen sind. Nur wird er sich und dem Publikum einen Gefallen tun, wenn er das nächste Mal mit einem Stück belangvollerer Literatur ankommt. Wobei überhaupt bei aller Wertschätzung der französischen Gäste die Frage zu stellen ist, ab die Direktion des Burgtheaters nicht besser getan hätte, so kurz nach Schnitzlers „Professor Bernhardi“ für das Gastspiel im Akademietheater ein anderes Stück als ausgerechnet das um „Frööd“ (so sprechen nämlich die Franzosen den Namen des Begründers der Psychoanalyse in seiner Heimatstadt aus) zu wählen. Es gab starken Beifall ifür die Schauspieler.

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