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Bildersturm im Ötztal
Umhausen im Ötztal, der Stadel der Bauernfamilie Leiter, darauf eine Großplakattafel. Wo vor wenigen Tagen noch Tirols künftiger Landeshauptmann Wendelin Weingartner auf das Volk herunterlächelte, hat der junge tschechische Maler Roman Safränek ein kraftvolles Bild von zwei griechischen Himmelträgerinnen („Die Kariatyden”) geschaffen.
Umhausen im Ötztal, der Stadel der Bauernfamilie Leiter, darauf eine Großplakattafel. Wo vor wenigen Tagen noch Tirols künftiger Landeshauptmann Wendelin Weingartner auf das Volk herunterlächelte, hat der junge tschechische Maler Roman Safränek ein kraftvolles Bild von zwei griechischen Himmelträgerinnen („Die Kariatyden”) geschaffen.
„Vermutlich waren es die Berge rundherum, die mich dazu inspirierten”, meinte er, als seine beiden Frauenakte schon einen handfesten Skandal ausgelöst hatten. Nach tagelangem Streit und der Forderung der beiden Bauersleute, das Bild müsse verschwinden, kam es in der Nacht zu einem ersten Anschlag gegen das Werk. Die weiße Kalkfarbe war aber noch nicht trocken und Safränek konnte das Bild wiederherstellen.
Nach dem Vandalenakt der folgenden Nacht kam aber jeder Rettungsversuch zu spät. Großflächig waren Teile des Plakatbildes heruntergefetzt worden. Bizarrerweise kam an einer Stelle darunter die verlogene Werbeidylle einer Blumenwiese zum Vorschein.
Mitverantwortlich für den Vandalenakt sind jene Umhausner Lokalpolitiker, die mit den Argumenten „das paßt nicht ins Dorf und gehört in eine Galerie” und „man könne für die Unversehrtheit des Bildes nicht garantieren” Öl ins Feuer des Kulturkampfes gegossen hatten.
Das Bild Roman Safräneks war Teil einer ungewöhnlichen Aktion, die in der ersten Augustwoche 36 Künstlerinnen und Künstler aus Tschechien, der Slowakei, Wien und Tirol ins Ötztal brachte. Den ganzen August über ist die Mehrzahl der Plakattafeln zwischen Ötz und Sölden sowie um Imst und Tarrenz, Träger von Kunstwerken, statt daß sie Werbebotschaften verkünden.
Große Bandbreite
„Ein ganzes Tal als Galerie” lautet ein Slogan von ,JDenkart” einer Aktion der Kulturinitiative „Aufwind Ötz”, realisiert in Zusammenarbeit mit drei Prager Kunsthochschulen, dem Egon-Schiele-Zentrum in Krum-au, der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und der Tiroler Künstlerschaft. Großplakattafeln am Schnittpunkt zwischen majestätischen Naturschönheiten und überbordendem Massentourismus zu gestalten, diese Herausforderung wurde zu einer beachtlichen Zahl interessanter Arbeiten genutzt.
Die formale und inhaltliche Bandbreite der Arbeiten ist groß: Neben intellektuellen Auseinandersetzungen mit dem Medium Plakatwand (zum Beispiel Rosemarie Sternagls „Kunst im öffentlichen Raum” in Ötztal Bahnhof oderOliverResslers „Green House - Way Out” in Sölden) über Ironisches zum Tirolertum beziehungsweise dem Verhältnis zwischen Tschechien und Österreich (etwa Klara Kvizoväz „Echt!” oder Silvie Urbänkoväs Monolog/Dialog, beide in Sölden), gibt es eine große Zahl an Werken, die sich mit den Themen Natur/Landschaft/Berg beschäftigen.
Besonders zu erwähnen ist ein Bild des Pragers Jirf Vohradsky. Seine Arbeit ist eine Hommage an den Bildhauer Mathias Braun, der Anfang des 18. Jahrhunderts im heutigen Tschechien viele Skulpturen schuf. Vohradsky verwandelte mit dem Bild eines - Braun nachempfundenen - Eremiten ein Buswartehäuschen in Tumpen in eine dunkle Höhle. Der junge tschechische Künstler wußte, daß Braun ein gebürtiger Österreicher war, aber er hatte keine Ahnung, daß dieser aus dem nur einige Kilometer entfernten Sautens stammt.
,JDenlcart” hat - begünstigt! durch die auch medial geführte Auseinandersetzung um den Umhausner Frauenakt - ungewöhnlich viel erreicht.
An Dutzenden von Ötztaler Stammtischen wurde über Werbung und Kunst im öffentlichen Raum diskutiert.
So sehr auch der Vandalenakt von Umhausen ins Klischee der Hinterwäldler im Heiligen Land passen würde, es ist falsch. Denn eine gravierende Mehrheit hat Gefallen an den ungewöhnlichen Bildern in ihren Dörfern gefunden. Mit Spannung wurde das Entstehen der Kunstwerke verfolgt und Roman Safräneks Prognose, den meisten Menschen im Tal würde es leid tun, wenn ab 1. September die Bilder wieder mit Werbung überklebt werden, stimmt vermutlich. Sein eigenes, zerstörtes Bild sollte man in dieser Zeit als Mahnmal betrachten. Organisator Gerhard Prantl plant für 1994 eine Neuauflage von „Denkart” in einer anderen Region Tirols.
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