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Folgen die Flamen der Vision Tindemans?
Wie sehr tiefverwurzelte Standesund Gruppenegoismen einer nüchternen Beurteilung der aktuellen Wirtschaftskrise im Wege stehen, zeigten die hartnäckig geführten Diskussionen um einzelne Punkte des wirtschaftspolitischen Programms „Wohlstand durch Mut“, das in Loewen von den 1600 Delegierten der Christlichen Volkspartei (CVP) bei nur zwei Stimmenthaltungen angenommen worden ist
In den seit Jänner 1977 geführten partennternen Diskussionen über den künftigen wirtschaftspolitischen Kurs der größten Partei Belgiens hatte der Einfluß der internationalen Politik auf die belgische Wirtschaft nur mäßig Beachtung gefunden. Vielmehr beschäftigten die Parteigliederungen sich mit Vorschlägen für eine weitgehende Reglementierung der freien Wahl des Arbeitsplatzes bei einer demnächst möglichen Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Die Furcht vor dem Verlust eines selbstverständlich gewordenen Wohlstandes im Aufwind der sechziger Jahre sollte nach dem Willen der Programmkommission mit dem Mut zur Mentalitätsveränderung kompensiert werden. Kleine und größere Skandale, Steuerflucht veraltete Betriebe, die immensen Schwierigkeiten im Schiffbau, in der Stahl- und Textilindustrie hatten das Selbstvertrauen der Flamen erschüttert Dringend notwendige Veränderungen in überlebten Betriebshierarchien paarten sich mit modischen Schlachtrufen wie „Betriebsdemokratisierung“ und näherten sich den überall bekannten Forderungen nach einer „Umverteilung“ bei stets wachsendem Staatseinfluß. Manche Formulierungen im neuen wirtschaftspolitischen Programm der belgischen Christdemokraten erinnern denn auch an das anscheinend durch nichts zu erschütternde Vertrauen in die Allmacht des Staates. Dennoch enthält das Orientierungskonzept bemerkenswerte Öffnungen zu einer konsequenteren Anwendung der Grundsätze Sozialer Marktwirtschaft In der Praxis des rauhen Alltags wird es sich zeigen, ob die Flamen bereit sind, den Auffassungen ihres übrigens zum drittenmal wiedergewählten Vorsitzenden Wilfried Martens und den Zukunftsvisionen ihres Ministerpräsidenten Leo Tindemans zu folgen.
Das CVD-Wirtschaftsprogramm kann nun mit den wirtschaftspolitischen Auffassungen anderer christdemokratischer Parteien verglichen werden. Darin liegt sein aüßenpoliti-j scher Stellenwert. Ebenso ist es denkbar, daß hiermit eine Brücke zu anderen nicht-sozialistischen Parteien in Europa geschlagen werden kann, um den kollektivistischen Lehren der vereinigten europäischen Sozialisten in Zukunft wirksam entgegentreten zu können. National begrenzter Wohlstand läßt sich auch durch Mut allein nicht verwirklichen. Die gegenseitige Verflechtung und Abhängigkeit der europäischen und der Weltwirtschaft zwingt die nicht-sozialistischen Parteien geradezu, sich sehr bald auf einer höheren Ebene als etwa der „Europäischen Demokratischen Union“ mit der segensreichen Anwendung eines gemeinsam wirtschaftspolitischen Programms zu befassen.
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