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Prominenz im Gemeindebau

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Keine „Geheimliste", sondern das offizielle Kandidatenverzeichnis brachte die FURCHE auf die Spuren der Wiener Politprominenz in billigen Gemeindewohnungen.

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Keine „Geheimliste", sondern das offizielle Kandidatenverzeichnis brachte die FURCHE auf die Spuren der Wiener Politprominenz in billigen Gemeindewohnungen.

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Ein Ehrengericht der Partei wird demnächst über den mächtigen Wiener Magistratsdirektor Josef Bandion (FURCHE 45/1984) zu entscheiden haben. Einer der Vorwürfe gegen das prominente SPÖ-Mitglied: Trotz seines hohen Monatseinkommens .bewohnt er eine „billige" Gemeindewohnung.

Bandion wird schon demnächst - nach eigener Aussage - seine Gemeindewohnung in Wien-Ot-takring räumen und könnte damit zum Vorbild für viele andere Wiener SPÖ-Funktionäre und Mandatare werden.

Die FURCHE hat die im „Amtsblatt der Stadt Wien" (Sonderausgabe vom 10. April 1983) veröffentlichten Adressen der in den Parteilisten aufscheinenden Kandidaten für die am 24. April 1983 stattgefundenen Gemeinderatsund Bezirksvertretungswahlen überprüft.

Ergebnis: Von den 184 gewählten oder bestellten Stadträten, Bezirksvorstehern, Gemeinderäten und Bezirksvorsteher-Stellvertretern genießen nicht weniger als 60 das Privileg, Mieter in einer Wohnhausanlage der Stadt Wien zu sein (siehe Kasten „Politiker im Gemeindebau").

Daß die überwältigende Mehrheit von ihnen, nämlich 56, als Funktionär oder Mandatar der Sozialistischen Partei angehören, kann kaum überraschen. Daß sich aber unter den vier „schwarzen Schafen" im Gemeindebau gleich drei Mitglieder des Wirtschaftsbundes der ÖVP befinden, entbehrt nicht einer gewissen Pikan-terie.

Wie immer: Im Schnitt verfügen heute fast alle angeführten politischen Funktionäre über ein monatliches Einkommen, das erheblich über der zulässigen Höchstgrenze liegt, wie sie in den Vergaberichtlinien für Gemeindewohnungen festgelegt sind (siehe Kästen „Was sie verdienen" und „Wer sie bekommt").

Das Problem dabei: Die Polit-Funktionäre haben ihre kommunalen Wohnungen zu einer Zeit bezogen, in der ihre Einkommensverhältnisse wohl den Vergaberichtlinien entsprochen haben mögen. Aber solange sie nicht gegen die Mietbedingüngen verstoßen (z. B. durch Nichtbezahlen des vorgeschriebenen Zinses) behalten sie ihr Wohnrecht im Gemeindebau.

Nun verteidigen die zu politischen Ehren (und zu höherem Monatseinkommen) gekommenen Gemeindebaumieter ihr kommunales Wohnglück gerne mit dem Hinweis, sie wüßten ja nicht, für wie lange sie ihr politisches Amt ausüben. Jederzeit müsse mit der Möglichkeit gerechnet werden, aus der politischen Funktion abberufen zu werden.

Dagegen ist allerdings einzuwenden, daß auch der „Normalbürger" sein Wohnbedürfnis seiner Einkommenssituation und -entwicklung anzupassen hat.

Gerade in einer Zeit, in der

Wohnungssuchende hohe und höchste Erwerbs- und Mietkosten zu tragen haben, ist es wohl nicht zu viel verlangt, wenn man Besserverdienenden (und dazu zählen die Gemeindepolitiker in jedem Fall) marktübliche Wohnungskosten zumutet.

Vor fast genau zwei Jahren forderte die FURCHE (46/1982): „Jeder, der wirklich bedürftig ist, soll eine, solche Wohnung (gemeint sind günstige Gemeindewohnungen) in Anspruch nehmen können. Aber nicht f ür's ganze Leben. Auch da sollten für die weitere Benützung Einkommensgrenzen gelten: Wer darüber verdient, müßte sich in angemessener Frist um eine eigene Wohnung umsehen."

Daß es auch Wiener SP-Funk-tionäre gibt, die sich an eine solche Forderung halten, sei nicht verschwiegen. Zwei Beispiele: Der frühere Umweltstadtrat und heutige SPÖ-Zentralsekretär Peter Schieder wohnte zwar auch zu Beginn seiner politischen Karriere im Gemeindebau, hat aber diese günstige Bleibe entsprechend seinen geänderten Einkommensverhältnissen längst aufgegeben. Genauso wie der ermordete Stadtrat Heinz Nittel, der nach dem Erwerb eines Hauses seine billige Kommunalwohnung sozial bedürftigeren Wohnungswerbern überließ.

Amtsführenden Stadträten der Gemeinde Wien wird für den außerordentlichen Wohnungsaufwand eine monatliche Zulage von rund 7000 Schilling überwiesen. Verbleibt ein Stadtrat in seiner Gemeindewohnung, . erwächst ihm allein aus der Differenz zwischen günstiger Gemeindebaumiete und eben dieser Wohnungszulage ein nicht geringes monatliches „Zubrot".

Die Gemeinde Wien ist Hausherr von rund 220.000 Gemeindewohnungen. Jahr für Jahr werden mehr als 5000 Wohnungen nach den erwähnten Vergaberichtlinien vergeben. Aber etwa 13.000 Wiener sind beim Wohnungsamt für eine preis- und zinsgünstige Gemeindewohnung vorgemerkt.

Sie alle müssen sich mit einem Platz auf dieser Warteliste auch deshalb lange Zeit begnügen, weil aktive und ehemalige politische Wiener Prominenz auf die Billig-wbhnmöglichkeit nicht verzichten will.

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