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Tren-nun-gen

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Trennungen sind etwas Schlimmes. Sie verursachen Tränen, Herzschmerzen, Wehmut - und haben nicht selten üble Folgen. Vor allem in Diktaten und Schulaufsätzen.

Wer die Trennungen nicht beherrscht, ist in großer Gefahr, eine schlechte Note in der Deutsch-Schularbeit ein-zufangen, zumindest in konservativen Schulen. Weil aber schlechte Noten bekanntlich zu einer abrupten Chancenverringerung der jungen Menschen führen, die ja nach herrschender Meinung alle gleich geboren sind und daher auch lebenslang gleiche Chancen haben müssen, sind die Trennungsregeln fortschrittlichen Bildungspolitikern seit langem ein schmerzhafter Dorn im Auge. Es kann doch wirklich nicht angehen, daß eine hoffnungsfrohe und lebensbewußte Gymnasiastin nur deshalb vom direkten Weg zur Bundeskanzlerin abgedrängt wird, weil sie das Wort Progressivität nicht richtig in die einzelnen Silben zerlegen kann.

Nein, nein. Die geltenden Trennungsregeln der deutschen Sprache sind eben auch nichts anderes als selektive Machtinstrumente der herrschenden reaktionären Mächte. Denen gilt es zu wehren, wo man sie trifft und wo man dazu selbst die Macht hat. Die Schulministerin des nunmehr abgelösten rot-grünen Senates von Berlin hat die Mächte der orthografischen Reaktion in der deutschen Unterrichtsministerkonferenz getroffen, und sie hatte auch die Macht, sich im Namen der grammatikalisch Ausgebeuteten und Unterdrückten zu wehren.

So setzte sie knapp vor ihrem eigenen Amtsschluß noch ein revolutionäres Zeichen.

Mußte man bisher die Pädagogengriechisch in „Päd-ago-gen ” trennen, darf man siefür-derhin deutsch zu „Pä-da-go-gen” zerlegen. Trennte man darum bisher „dar-um”, darf man es demnächst mit „darum” versuchen. Die Voraussetzung zerlegt sich nicht länger in „Vor-aus-set-zung”, ab sofort darf,, Vo-raus-setzung ” geschrieben werden, voraussetzungslos! Und selbst dem „st” wird es demnächst nicht mehr weh tun, wenn man es trennt. Soferne sich nicht die deutsche Erde auftut und die Trennungsreformer verschlingt, wird man schon bald das Fenster zum „Fens-ter” (!) öffnen dürfen.

Das wird, da ist man in deutschen Ländern sicher, die Bildungschancen der Nachwachsenden erheblich erhöhen und ihre Chancengleichheit endgültig sichern. Allerdings vorerst nur in Berlin.

Manche freilich meinen hartnäckig, daß es gar nicht so schlecht ist, daß es neben der fortschrittlichen deutschen Rechtschreibung auch eine reaktionär österreichische gibt.

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